Eine Klassikerrezension! In Zeiten des DSA1-Revivals und Retrospielrunden haben wir in der Mottenkiste gekramt und einige Schätze gehoben, die auch nach Jahrzehnten nicht nur Charme, sondern moderne rollenspielerische Unterhaltung bieten. Neben vielen – in heutigen Augen – unsäglichen Machwerken aus der Frühzeit des Schwarzen Auges gibt es sie: die Perlen unter den frühen Gruppenabenteuern.
In dieser Reihe werde ich daher keine Verrisse präsentieren und mit dem arroganten Blick des modernen DSA-Spielers auf die Vergangenheit blicken, sondern mit dem Anspruch ans Werk gehen, dass die besprochenen Werke selbst nach heutigen Spielgewohnheiten noch spielbar, unterhaltsam und empfehlenswert sind.
Dank der PDF-Neuauflagen sind jene Werke heutzutage nicht etwa auf staubigen Dachböden zu finden, sondern im Digitalschuppen bei DriveThruRPG, so auch das heute besprochene Werk:
Die Göttin der Amazonen, von DSA-Schöpfer Ulrich Kiesow.
Die Göttin der Amazonen ist 1985 erschienen und das zweite DSA-Abenteuer der Ausbau-Serie (A), die parallel zur Basisreihe (B) erschien. Es richtet sich an 3-5 Helden der Stufen 7- 12. Bereits auf dem Cover kommen uns vier archaisch anmutende Damen entgegengeritten, die in ihrem Auftreten eher Robert E. Howards Conan-Erzählungen entsprungen scheinen. Als Untertitel trägt dieses als „Großband“ bezeichnete Abenteuerheft den fast vergessenen Zusatz „oder der Zauber des Bösen“.
Damit sind wir auch schon im Spoilerbereich, dem inhaltlichen Überblick, den ich bewusst knapp halte.
Ab hier reitet das Spoiler-Rieshorn!
Die Göttin der Amazonen spielt im Jahr 998 BF und erzählt die Geschichte der Kurkumer Amazonen rund um ihre Königin Yppolita, die dem Beeinflussungszauber des Magiers Xeraan verfallen sind, der nicht nur einen Narren an ihnen gefressen hat, sondern sie in seine Dienste zwingen möchte. Das Abenteuer legt damit eine Grundlage für den späteren Handlungsbogen rund um die Sieben Gezeichneten und findet in dem Kampagnenabenteuer Goldene Blüten auf Blauem Grund seinen Höhepunkt und vorläufigen Abschluss.
Die Helden erhalten zu Beginn des Abenteuers den Auftrag des bekannten Kaufmanns Stoerrebrandt, Königin Yppolita von Kurkum ein Geschenk zu überbringen. Zudem sollen sie feststellen, wieso neuerdings die Safranlieferungen aus Kurkum ausbleiben. Die Helden reisen dafür von Beilunk aus über Shamaham nach Kurkum, der legendären Amazonenburg, die hier noch als „Amazonenpalast“ bezeichnet wird. Das größte Problem hierbei: Niemand weiß so genau, wo die Burg genau in den Beilunker Bergen verborgen liegt. Ein weiteres Problem, das sich bald offenbart: Die Amazonen sollen in letzter Zeit ziemliche Stinkstiefel geworden sein. Sie sollen die Bevölkerung des Landstrichs geradezu terrorisieren und schrecken auch vor Mord und Raub nicht zurück. Offenbar haben sich die Amazonen von ihrer Göttin Rondra abgewandt und beten nun eine andere, finstere Macht an.
Der erste Teil des Abenteuers ist ein waschechtes Reiseabenteuer, gewürzt mit einer detektivischen Note, denn nicht nur muss der Standort Kurkums ermittelt werden, sondern auch dem Geheimnis der Wesensveränderung auf die Schliche gekommen werden.
Der zweite Teil des Abenteuers spielt nach der Ankunft auf Kurkum. Hier entspinnt sich ein klassisches Dungeonabenteuer, bei dem die Burg infiltriert, die Königin befreit und Xeraan besiegt werden muss.
Der besondere Charme des Abenteuers
Zu etwas Besonderem macht dieses Kleinod zunächst das Auftreten einiger liebgewonnener Charaktere, die wie Schachfiguren auf einem Spielbrett wirken, das ein Jahrzehnt später zum Schauplatz der Borbaradkrise werden wird. Insbesondere auf das erste Treffen mit dem Auftraggeber, der als verschrobener Kauz in Erinnerung bleibt, setzt Ulrich Kiesow bereits den typischen DSA-Charme, den er in seinen Werken zu versprühen weiß: In das skurrile, stets liebenswerte, manchmal auch unflätige in jedem Fall aber zutiefst menschliche Dasein von interessanten Charakteren schleicht sich, oft auf leisen Sohlen, das Böse.
Und während in einem Moment noch eine „happy-go-lucky“-Abenteuerstimmung herrscht, wechselt die Atmosphäre ins Grauen, das – ob der zuvor zelebrierten Leichtigkeit – noch heftiger einschlägt, als erwartet. Eine Formel, die immer wieder aufgeht.
Die Leutchen, die anno 1985 mit dieser Art von Spiel erstmalig konfrontiert wurden, mussten angesichts der ungewöhnlichen Erzähltechnik beeindruckt gewesen sein. Selten zeigt sich diese Vorgehensweise der aventurischen Frühzeit besser, als an diesem Abenteuer. Es wird mit Fortlaufen der Handlung immer düsterer und beklemmender, selbst der Humor wird schwarz. Etwas Ähnliches sollte erst Jahre später wieder in Staub und Sterne und Alptraum ohne Ende vorgefunden werden; noch viel später dann in Die Dunkle Halle und, schließlich in unseren Tagen, im Abenteuer Fauler Frühling.
All diese Reiseabenteuer teilen mit diesem Urtypus Göttin der Amazonen zugleich eine Schwäche: Kiesow kündigt bereits im Vorwort an, dass hier knallhartes Railroading bevorsteht: „Ein gutes Fantasie-Rollenspiel ist wie ein kleiner Roman.“ Das war zwar damals schon unnötig einengend, aber erst heute fällt uns auf, dass diese Vorgehensweise durchaus ihre Berechtigung hat und – richtig umgesetzt – zu den unvergesslichsten Spielabenden führen kann, an die man sich lang und gern zurückerinnert.
Der Vorzug dieser Erzählweise ist ebenfalls nicht zu verachten: Dadurch, dass Kiesow das Abenteuer wie einen Roman angelegt hat, lässt es sich ebenso gut herunterlesen. Insbesondere Szenen, in denen NSCs einen Dialog miteinander führen, gehören am Tisch zu den schlimmsten Spielleitersünden; liest man das Abenteuer als Erzählung, machen die entsprechenden Szenen durchaus Spaß. Für den Spieltisch sollte die Spielleitung dennoch eine elegantere Variante finden. Dies bringt uns zum nächsten Punkt: Der heutigen Verwendbarkeit.
Herausforderungen für die moderne Spielrunde?
Um das Werk heute zu genießen, kann man auf zweierlei Weisen vorgehen. Entweder man macht es wie die DSA1-Let’s Player und geht gnadenlos ironisch an die Sache und zieht das Ganze mit DSA1-Regeln und gespickt mit einem Haufen One-Liner durch. Dies würde dem vorliegenden Werk aber keineswegs gerecht, auch wenn es insbesondere zu Beginn dazu einlädt. Wenn das beste Hotel der Stadt „Käptn Huck“ heißt, wird man nicht ernst bleiben können. Hier sollten moderne Spielleitungen entsprechende Änderungen vornehmen, um das Abenteuer vor Slapstickmomenten zu bewahren. Denn „Die Göttin der Amazonen“ ist nicht nur erzählerisch, sondern auch atmosphärisch eines der besten Abenteuer der DSA-Frühzeit. Die Tragik der Geschichte, der noch heute zündende angenehme Grusel und die Abenteuerlust, die aus den Seiten strömt, lassen nur eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Werk zu. Dazu tragen auch gut geschriebene NSCs wie Yppolita und ihr Widerpart bei, die nicht nur kurzzeitig im Gedächtnis bleiben, sondern wichtige Grundlagen für Spielrunden legen, die sich noch der Gezeichnetenkampagne gegenübersehen. Weder Figuren, Setting oder Plot sind auf Klamauk ausgelegt. Ebenfalls nützlich zur späteren Verwendung: Dutzende NSCs, zumeist Amazonen, die mit Namen und Kurzcharakteristik genannt werden.
Spielbar ist es, trotz der Railroad- und Dungeonelemente, auch heute noch. Kiesow versteht es meisterhaft, durch unzählige kleine Elemente, Geheimnisse und nicht zuletzt glaubwürdige Figuren die Motivation bei den Spielenden aufrechtzuerhalten. Unzählige optionale Ereignisse geben der Spielleitung Szenen an die Hand, mit der sie die Spielrunde über mehrere Abende (sinnvoll) beschäftigen kann. Wären nicht die teils hohen Gegnerwerte, würde sich das Abenteuer sogar als würdiger Start in die Welt des Schwarzen Auges anbieten. Lediglich der Evergreen Über den Greifenpass wäre als Alternative zu nennen, um eine ähnliche Abenteuerluft auf Railroadbasis zu schnuppern.
Fazit
Die Göttin der Amazonen ist ein beeindruckendes Stück DSA-Geschichte, das auch heute noch zu begeistern weiß. Der Dungeonteil im zweiten Abenteuerabschnitt ist zwar gefühlt aus Gary Gygax’ Mottenkiste entsprungen und auch viele kleine Punkte könnten aufgezählt werden, die etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheinen. Doch insgesamt lohnt sich der Ausflug ins Jahr 998 BF allemal, selbst wenn man sich das Werk nur zulegt, um es mit Genuss durchzulesen.
Daher ist es ein würdiger Start für die Retro-Rezensionsreihe und verdient 8 von 9 Retro-Rieshörnern.
Danke für die Rezi und Danke für die Reihe an sich. In der Tat stelle ich zu meinem ganz persönlichen Entzücken fest, dass das (positive) Interesse an DSA1 gestiegen ist. Das mag auch durchaus anteilig an den erwähnten DSA1-Let’s Plays liegen.
Ich habe im Herausforderungs-Abschnitt eine Weile nach dem „Oder“ gesucht, weil es ja explizit ein „Entweder“ gab. Aber ich habe schließlich doch verstanden, dass die Alternative ironische Spaßrunde contra ernsthafte Beschäftigung erläutert wurde. Ich stimme hier aber nur sehr bedingt zu. Tatsächlich empfand ich die DSA1-Let’s Plays als sehr unangenehm zu gucken wegen ihres ironischen Zugangs, dem eben jene Arroganz anhaftet, den Du eingangs erwähnt hast. (Oder, um diese Aussage nicht unnötig aggressiv wirken zu lassen, so formuliert: bei dem man den Akteuren vor der Kamera teils deutlich die Fassungslosigkeit anmerkt, dass ’so ein Schrott‘ damals tatsächlich geliefert wurde.) Das mag also auch nicht mein Weg sein. Andererseits begibt man sich mE mit der Einstellung (Zitat) „lassen nur eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Werk zu“ ebenfalls sehr leicht aufs Glatteis, weil man mit dieser Brille ebenfalls im Nu all der Mängel und Makel gewahr wird, die die frühen DSA-Abenteuer nach heutigem, dem „modernen“ Ermessen eben hatten.
Ich würde daher noch einen dritten Weg vorschlagen (und ich werde ja nicht müde, mich nach meinen Einwürfen und Ausfällen im Tanelorn, DSA(4)-Forum und asboran.de zu wiederholen :)), der der alten Weise zunächst einmal grundsätzlich wohlwollend begegnet und sich auf die Spur des damaligen Erlebens und Spielgefühls begibt und erprobt, wie man damals gespielt hätte, wenn man nicht 10-16, sondern erwachsen gewesen wäre, um dann ohne Ironie und ohne Arroganz die Glanzlichter des Moduls herauszuarbeiten und Lösungen für die weniger guten Teile zu finden. Wobei, das mag ich ergänzen, „weniger gut“ sich für mich hauptsächlich durch ein Vorhandensein von Spielergängelung und Flaschenhälsen definiert, und nicht zB durch nachträglich eingetretene avanturische Unstimmigkeit, Dungeoneering, Begegnungstabellen etc pp. Gemäß dem dritten Weg ist es zB überhaupt kein Problem, dass ein bestes Hotel der Stadt „Käpt’n Huck“ heißt. Der liebe Uli hatte sich ja etwas dabei gedacht, und er war dabei sicherlich nicht von Ironie getrieben.
Also, ich bin gespannt darauf, welches das nächste Abenteuer sein wird! 🙂
Hey rillenmanni.
Habe ich das richtig verstanden, dass du dich gerade beworben hast selbst eine Retro Rezension zu verfassen?
Ja, äh, genau das wollte ich mit jeder nicht formulierten Silbe ausdrücken! 🙂
Ich dachte, ihr hättet die alle schon in petto. Der liebe Thorus84 hat doch schon angekündigt, in dieser Reihe keine Verrisse zu präsentieren. (Ich hoffe, mein Kommentar kam nicht als unkonstruktive Kritik rüber!)
Grundsätzlich kann ich das machen. Ich bin aber bis Mitte Februar knapp bei Zeit und müsste daher ökonomisch vorgehen, dh ein Abenteuer rezensieren, mit dem ich ich sowieso derzeit beschäftige: Seuche an Bord (aus gleichnamiger Anthologie) oder Hexennacht (wobei das DSA2 ist.). Wenn ich erst eine Rezi für danach schreiben soll, ist mir das Abenteuer egal. 🙂 Ich würde aber nur dann „keinen Verriss“ präsentieren wollen, wenn ich entsprechender Meinung wäre. Ggf kontaktiert mich einfach. Davon unabhängig freue ich mich einfach auf die nächste Rezi. 🙂
Ich bin kein Nanduriant. Ich weiß nicht, wie weit die Planung für weiter Rezensionen gediegen ist. Ich habe nur herausgelesen, dass du dich schon intensiv mit dem Thema befasst hast. Da ist es doch nur logisch, wenn du den nächsten Schritt gehst und selbst in die Tasten haust. 😇
Ich kann nicht für Nandurion sprechen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass engagierte Gastbeiträge hier gerne unterstützt werden.
Ah, achso! Das entspannt meine Situation natürlich auch. Dann melde ich mich Ende Februar gern bei Nandurion mit einer Gastrezension, wenn es hier schon Nachfrage gibt. 🙂
Und nun freue ich mich auf den nächsten Thorius84! Hüpp, hüpp! Wo bleibt die Rezi? 🙂
Und dann noch zum Abenteuer: In dieses habe ich wirklich seit Ewigkeiten nicht mehr reingeschaut! Ich kann mich an die große RR-Passage so gar nicht mehr erinnern, aber ich hatte es auch bald nach Erscheinen gespielt. Es wäre interessant zu entdecken, wie ich es heute beim Lesen erleben würde, und wie leicht bzw schwierig es wäre, die RR-Passage umzubauen.
Höre ruhig auf den FRAZ, schließlich schaut er selber immer wieder als Gast in der Redaktion vorbei. Und auch der ein oder andere Nanduriat begann sein Leben mal als Gastschreiber und wurde am Ende schlicht einhornisiert. Und mehr Beiträge erfreuen eigentlich sowohl Leser wie Einhörner. Vor allem natürlich, wenn es vorher noch nicht behandelt wurde.
Da die Einhörner gerade unter der Knute des Zantaclauth ächzen und während der Feiertage als Ausgleich alle Hufe von sich strecken, würden wir wohl sowieso erst im neuen Jahr dazu kommen, eine solche Anfrage zu bearbeiten. Insofern kommen wir da gut zusammen. Dann kannst du dir auch überlegen, ob du uns ein paar Vorschläge zur Auswahl senden möchtest oder schon etwas spezifisches. (Zugegeben, persönlich hätte die Eulenhexe ja nichts gegen eine Hexennacht. Das passt doch irgendwie. ;))
Deine Auswahl kannst du dann einfach an unsere Redaktionsadresse senden und auf Wunsch schon vorher einen neugierigen Blick in unseren Leitfaden für Gastrezensionen werfen.
Ansonsten wünsche ich einfach mal gespanntes und freudiges Warten, schließlich hat Zantaclauth noch ein paar weitere Retro-Päckchen in seinem Sack.
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Gab es nicht unter Kurkum die Schatzkammer von Xeraan, deren magische Sicherung erst nach dem Tod des Magiers endet.
Ja, die Sicherung endet sehr lange danach. Und wenn dieser Schatz seitdem nicht gehoben wurde, …. 😉
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