Im vierten Kapitel erwarten uns Richtsprüche. Tatsächlich ist dies auf eine Weise der Fall. Doch mit Fragen des Rechts haben die Taten unserer Figuren nur wenig zu tun. Das Motiv der Rache nimmt hingegen einen großen Raum ein. Die Handlung um Zidaine mit dem unaussprechlichen Nachnamen strebt ihrem Höhepunkt entgegen. Zu diesem Zeitpunkt steht so viel auf dem Spiel, dass die Wettfahrt dagegen in den Hintergrund gerückt scheint. Man könnte die Saga auch einfach in die Zidaine-Saga umbenennen und hätte damit vermutlich einige Argumente auf seiner Seite. Mit der anberaumten Hochzeit ist Zidaines aus Beorns Leben kaum mehr wegzudenken. Die folgenlose Ermordung eines Bediensteten der Swafnir-Kirche und eines weiteren Mitglieds aus Asleifs Ottajasko scheint ebenfalls unwahrscheinlich. Die Absichten der handelnden Personen sind klar. Die Konsequenzen die daraus erwachsen jedoch von explosiver Offenheit.
Von den 720 Seiten die der Roman bis zum Epilog bedeckt, haben wir zum Beginn der Richtsprüche erst gut die Hälfte geschafft. Ich erwarte zu diesem Zeitpunkt nicht den Höhepunkt eines Handlungsfadens, der älter als die Wettfahrt selbst ist. Eine weitere Konfrontation bei der danach alle wieder nach Hause gehen scheint aber auch unwahrscheinlich. Hier wäre es durchaus interessant, wie das Autorenduo arbeitet. Hennen und Corvus besprechen solche wichtigen Szenen immer gemeinsam. Wann waren welche Setzungen klar? In welcher Reihenfolge mussten Dinge geklärt werden? Was hat sich erst beim Schreiben konkret ergeben? Viele Fragen, doch der Text wird uns andere Antworten geben.
In der Tat inszenieren die beiden Autoren, schwer zu sagen wer hier federführend war, ein mehrstufiges Finale mit zahlreichen Wendungen. Veli schon am Pfahl, dann doch gerettet. Tylstyrs magische Fähigkeiten helfen ihm zwar aber dann treten neue Parteien auf den Plan. Ein gruseliges Finale mit Geistern, Dämonen und grässlichen Erinnerungen an das entsetzliche Verbrechen in Stainakr. Am Ende ein derart ernüchterndes Ende, dass es fast schon schockierend ist.
Nach und nach wird klar, dass Tylstyr genauswenig einen Plan für das „Danach“ hatte wie Zidaine. In Thorwal erkennen die ersten Protagonisten was geschehen sein muss und welche Folgen das haben wird. Der Hjalding steuert auf ein Desaster gigantischen Ausmaßes zu. Die grausigen Spuren des Wächters aus der Dunkelheit geraten dabei zur Nebensache. Und dann rufen die Autoren ein weiteres Mal die Götter herbei. Diesmal ist es Swafnir selbst, der eingreift und dem Blender die Nachricht überbringt. Göttlicher Wille ist es. Die Wettfahrt soll fortgesetzt werden. Das Blutbad bleibt aus und Beorns Rache muss warten. Die Braut ermordet, das Fest dennoch gefeiert. Der größte Plünderfahrer seiner Zeit rasend in kalter Wut und doch gebunden an den göttlichen Befehl. Ich bin geradezu fassungslos. Das ist also der geniale Kniff. Man schickt einen Wal, der dem Blender sagt erst die Pflicht, dann die Rache. Zugegeben, ich hatte nicht gewusst, wie die Autoren sich aus dieser Lage wieder herausmanövrieren. Anweisungen von einem Gott hätte ich jedoch nicht erwartet.
Ratlos lässt mich auch Tylstyrs Plan zurück. Oder eigentlich eher das Fehlen desselben. Der Hellseher hat seinen Kampf gegen Zidaine geplant und sein Vorhaben endlich in die Tat umgesetzt. Aber er hat keine Idee was dann folgen soll. Was wäre passiert wenn der Gottwal nicht eingegriffen hätte. Wäre die Glutströhm Ottajasko ausgelöscht und Thorwal in ein Schlachthaus verwandelt worden? Hat der große Hellseher das nicht gesehen? Oder ist es ihm einfach egal? Vermutlich eher Letzteres. Ratlosigkeit auch bei mir.
Richten und rächen folgt den Ereignissen unter dem Alten Ugdalf. Die Mörderin gerichtet, der Schänder noch ungestraft. Tylstyr deutet hier lediglich an, wie er mit seinen eigenen Taten umgehen will und welche Gerechtigkeit auf ihn wartet. Schuld und Sühne sind noch nicht wieder im Gleichgewicht. Und so nimmt es auch nicht Wunder, dass das Rad der Blutrache sich weiterdreht. Dolorita macht sich auf den Weg um die Rache einer Hexe zu nehmen. Tunichtgut Eilif erwartet wohl ein Freispruch, aber nicht das Ende ihrer Rolle in der Saga. Die Hetleute stimmen endlich ab und Beorn schneidet die Seeadler bei der Ausfahrt.
Beinahe schon Komik ist es, die die letzte Szene begleitet. Zu Beginn dieses Tagebucheintrags hatte ich nur halb ernst von der Zidaine-Saga gesprochen, welche die Wettfahrt längst eingeholt und überholt hat. Leider hatte ich das Thema wohl besser getroffen als mir lieb war. Der Blender offenbart seine Gefühle seinem Steuermann und spricht damit aus, was bislang wohl eher als schlechter Scherz gegolten hat.
Für mich geht es nicht mehr um den Titel König der Meere, für mich geht es um Rache für Zidaine.
Entgeistert starrte Olav ihn an. Es geht nur noch um Rache?
Ob es wirklich nur noch um Rache geht und die Ottajaskos sich bald die Schädel einschlagen, werden wir sehen wenn es in Tran und Schwefel nach Enqui geht.
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