Einordnung
Bereits in seinen jungen Tagen entdeckte das Rollenspiel mit dem Solo-Abenteuer eine eigene Publikationsform für das Pen&Paper- Spiel. Dabei wurde einer der wichtigsten Faktoren des klassischen Tisch-Rollenspiels – das gemeinsame Spielerlebnis – völlig ausgeblendet. Inspiriert durch den Erfolg der Abenteuerspielbücher und besonders erfolgreicher Serien wurde das Solo-Abenteuer ein wichtiger Vertreter im Angebot des Schwarzen Auges. Oftmals als Einstieg in die Welt für niedrigstufige Einsteiger-Helden konzipiert, gehörten jene Bände seinerzeit zu den meistgespielten der Reihe. Nach einer langen Durststrecke war es das Verdienst von Sebastian Thurau mit seiner Kampagne um die Schwarze Eiche neue Maßstäbe in Sachen Solo-Abenteuer zu setzen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Publikation von Myranor-Solos nur logisch um weitere Ein- und Umsteiger für die Marke zu gewinnen.
Mit der Legatin des Bösen erschien gerade rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 2015 das dritte Soloabenteuer für Myranor. Entgegen der 80er-Jahre-Tradition führt man hier jedoch keinen unerfahrenen Alrik Abenteuerer bzw. sein myranisches Pendant ins Feld, sondern eine bekannte Hochelfe der Stufe 21+. Lassen wir einmal außen vor, dass Stufen mit der 4. Edition der DSA-Regeln abgeschafft wurden, so dürfte dem durchschnittlichen Fanboy das einprägsame Cover und diese kleine Information aus dem Klappentext bereits verraten wer hier den Ton angibt. Niemand anderes als Pardona selbst, die Zunge des Namenlosen, Verderberin der Elfen und vermutlich einer der abgehobensten Dauerbösewichte des Schwarzen Auges wird hier durch Spielerhand auf die Myranische Bevölkerung losgelassen. Die Idee, eine hochrangige Meisterperson zum Protagonisten eines Solos zu machen, wurde ausgerechnet von Myranor-Redakteur Jörg Raddatz zuvor bereits zwei mal umgesetzt. Nachdem man seinerzeit einen halbelfischen Landgraf und später immerhin einen waschechten Bergkönig führen durfte, werden nun mit der ultimativen Erzschurkin des Schwarzen Auges schwere Geschütze aufgefahren.
Bereits der Rahmen für das 80 Seiten starke Abenteuer macht neugierig. Nachdem Pardona am Ende der Drachenchronik scheinbar ihren letzten Auftritt in Aventurien hatte bleibt die Frage offen, wie es mit dieser Figur weitergeht. Der Klappentext beschreibt sie theatralisch als „gebrochen und hilflos“. Regelkenntnisse seien nicht nötig, da das Abenteuer ohne Regeln auskomme. Nachdem die aventurischen Dunkelelfen in Myranor einen wesentlich aktiveren Part in der Geschichte gespielt haben darf man auch hier auf Pardonas Homebase im myranischen Norden gespannt sein.
Aufbau und Mechanismen
Der Band gliedert sich in vier Kapitel und einen Anhang. Abweichend von der üblichen Präsentation ist es hier offensichtlich, dass es verschiedene Sinnabschnitte gibt, die nacheinander durchgespielt werden können. Dabei nutzen Nico Mendrek und Mháire Stritter die Kapitel auch für zeitliche Sprünge. Die Kapitel eins und drei bilden eine Rahmenhandlung, in der sich Pardona die nötigen Machtmittel beschaffen muss, um ihr finales Ziel zu erreichen. Das vierte Kapitel berichtet dann von ihrem Zug gen Norden, um ihre Operationsbasis im ewigen Eis wieder in Besitz zu nehmen. Dazwischen liegt der etwas konventionellere Teil des Abenteuers, der sich mit den Ereignissen unmittelbar nach der Drachenchronik beschäftigt. Dieser Teil wird im Buch als Rückblende eingebunden, was den reinen Eventcharakter des Bandes noch einmal unterstreicht.
Bereits im Vorwort erläutern die Autoren, dass zwar keine Regelkenntnisse benötigt werden, es aber dennoch Spielmechanismen gibt. Zunächst war ich von dieser Ansage etwas irritiert, denn was sind Spielmechanismen anderes als Regeln? Beim Lesen des Bandes wird dann aber doch sehr schnell deutlich, was hier gemeint ist. Während der Kapitel eins, drei und vier kann man durch verschiedene Entscheidungen Verbündete gewinnen, verlieren oder auch Namenlose Gummipunkte gewinnen. Diese Punkte werden konsequenterweise für besonders grausame, unehrenhafte oder sonstwie dem Namenlosen gefällige Taten vergeben. Insbesondere am Ende des Abenteuers ist die Anzahl der gesammelten Schandtaten entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg. Nebenbei bemerkt finden die Autoren auch eine Lösung, falls der Spieler das Finale ordentlich vergeigt. Die ungewohnte Perspektive ist dabei ausgesprochen erfrischend. Ständig muss sich der Spieler fragen: Was würde wohl Pardona tun?
Das dritte Kapitel stellt mit seinen 180 Abschnitten den längsten und komplexesten Teil des Abenteuers dar. Pardona selbst ist durch die Ereignisse in Zze Tha noch nicht in der Lage ihre Kräfte wieder zu nutzen. Aus diesem Grund bestreitet sie das Abenteuer im beherrschten Körper dreier Abenteurer. In der Gestalt dieser drei Vehikel lässt sich die Stadt Ankonion erkunden sowie verschiedene Informationen und Gegenstände beschaffen. Eine geschickt ausgetüftelte Hintergrundgeschichte gestattet den Figuren dabei das genau richtige Maß an Freiheit, um den gestellten Herausforderungen begegnen zu können. Die Geschichte selbst ist dabei entsprechend dem Umfang nicht besonders komplex. Durch verschiedene Markierungen im Anhang werden aktuelle Zustände und vorhandene Gegenstände gespeichert. Die Herausforderung selbst liegt nun darin, die drei verfügbaren Figuren so zusammenwirken zu lassen, dass Pardona die nötigen Ressourcen erlangt, um ihren Körper und ihre Macht zu restaurieren. Dabei kommen bald Erinnerungen an Adventure im Stile eines Monkey Island hoch. Leider gibt es hier einen sehr engen Pfad zum Ziel, so dass gewisse Schleifen und Redundanzen nicht ausbleiben, wenn man nicht gleich den richtigen Pfad einschlägt. Dieses Kapitel ist auch das einzige, in dem die Hochelfe sich in wirklich schlechter Verfassung befindet. So ganz „gebrochen und hilflos“ will sie mir aber dann doch nicht erscheinen.
Analyse und Kritik
Die Aufteilung des Abenteuers in mehrere Kapitel erlaubt den Autoren einige Kniffe, die ansonsten nur schwer zu beherrschen gewesen wären. Die insgesamt eher schwache Eroberung des Tempels von Khalireth mit seinen 36 plus 97 Abschnitten wird durch die eingeschobene Episode in Ankonion deutlich aufgelockert. Das Kombinationsrätsel im zweiten Kapitel dürfte auch für Neulinge zugänglich sein, ohne dass es dazu weiterführender Kenntnisse bedarf. Dieser Einschub sorgt zudem dafür, dass der Spieler im dritten Kapitel sorgsam rekapitulieren muss und sich so wieder umso bewusster auf den alternativen Spielmechanismus einlassen. Während Ankonion durch reine Logik gelöst werden kann, muss man für den Sturm auf den Tempel die Gunst des Namenlosen zurückerlangen. Dazu muss sich der Spieler in den Kopf der Erzschurkin hineindenken und so die richtigen Entscheidungen treffen. Der letzte Teil ist dann wiederum als Überleitung ins offizielle Aventurien zu sehen. Nachtalben, Drachen, Trolle und die Anrufung namenloser Mächte bestimmen das Geschehen. Am Ende sitzt Pardona wieder auf ihrem Thron in Serrakhaszmazar und schmiedet Pläne zur Unterwerfung der Sterblichen.
Diese verschiedenen Abschnitte machen das Abenteuer angenehm übersichtlich im Durchlauf und erhöhen sogar den Wiederspielwert. Sie erlauben es außerdem das Abenteuer auch mal aus der Hand zu legen, wenn man sich wieder anderen weltlichen Dingen widmen muss. Durch den Verzicht auf Zufallsmechanismen (mit oder ohne Würfel) wird hier wieder deutlich mehr Gewicht auf die Entscheidungen des Spielers gelegt. Diese Setzungen gefallen mir insgesamt recht gut. Leider gibt es im zweiten Kapitel den einen oder anderen kleinen Bug, wenn ein Status nicht richtig verarbeitet wurde. Hier sind die Autoren wohl der Komplexität ihres eigen Konstrukts erlegen. In meinem Fall waren die Fehler zwar lästig, aber überwindbar. Beim ersten Lesen erschien mir zudem die Unterteilung in die kürzeren Kapitel ein Nachteil zu sein, was die Möglichkeiten einer komplexeren Handlung und Geschichte angeht. Tatsächlich ist es allerdings so, dass auch andere Solo-Abenteuer oder Spielbücher in Sinnabschnitte unterteilt werden. Die zeitlichen Sprünge zwischen den Kapiteln bedeuten natürlich dennoch eine weniger dicht gepackte Geschichte, die jedoch durch den insgesamt weiteren Rahmen wieder wettgemacht wird. Ein Pardona-Solo-Abenteuer, dass sich beispielsweise auf den Ankonion-Teil beschränkt hätte, wäre für mich zwar technisch interessant, erzählerisch jedoch unbefriedigend gewesen.
Fazit
Legatin des Bösen ist ein weiteres Experiment in der von Sebastian Thurau neu belebten Klasse von Solo-Abenteuern in der Welt des Scharzen Auges. Anders als die ausgefeilten technischen Neuerungen der Schwarzen Eiche werden hier mehrere neue Ansätze probiert. Der erzählerische Reiz, eine prominente Meisterperson auf diesem Weg zu beleuchten, wird sehr gut bedient. Natürlich ließe sich dies auch über einen Roman lösen, die Immersion ist jedoch meines Erachtens in diesem Format höher und erreicht vermutlich auch andere Zielgruppen. Für mich dürfte es gerne noch mehr Abenteuer dieser Art geben, wenn wieder zentrale Meisterpersonen im Fokus stehen. Das eingeschobene Adventure in Ankonion ist einen Versuch wert, muss allerdings für künftige Werke handwerklich noch klar zulegen. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal das Cover von Wayne England, wenngleich die Leistung vielleicht auch dem Verlag zuzuschreiben ist. Die Details auf dem Bild wurden offensichtlich so gut auf das Abenteuer abgestimmt, dass sich in den drei Spielfiguren vor Pardona sogar die handelnden Figuren des Abenteuers erkennen lassen. Eine leider alles andere als selbstverständliche Leistung. Wer sich nicht daran stört, dass man hier keinen eigenen Helden ins Feld führen kann und sich zumindest ein wenig für Pardona interessiert, der kann mit der Legatin des Bösen sicher ein paar kurzweilige Stunden verbringen. Und mit ein wenig Glück werden wir vielleicht schon bald die eine oder andere Lichtgestalt durch aventurische Gefilde führen können.
In meiner persönlichen Wertung rangiert die Legatin des Bösen trotz ihrer Defizite ziemlich weit oben. Anhänger des Unbarmherzigen mögen hier noch ein Einhorn addieren, während jene, die es nicht verwinden können, keinen eigenen Helden ins Rennen zu führen wohl selbst nach Abzug von zwei Einhörnern die Stirn runzeln und das Horn in den Stand stecken werden.
Pingback: Rezension zu „Legatin des Bösen“ | Nandurion
Wie es der Zufall will, habe ich letzte Woche auch endlich Zeit/Muße gehabt, das Soloabenteuer zu spielen (obwohl ich es seit Monaten auf dem Tisch liegen habe…).
Ich fand die Idee an sich sehr gut, aber mit der Umsetzung bin ich nicht zufrieden, insbesondere bei Kapitel 2. Ich war von den fehlerhaften Zeichen auch verwirrt, aber viel mehr Probleme hatte ich, überhaupt so weit zu kommen, um das zu bemerken.
Wenn ich das richtig sehe, gibt es genau einen(!) Weg, um das Abenteuer zu lösen, was ich sehr schade fand, denn das eine Ereignis, das danach alle Anderen ins Rollen bringt, hätte ruhig mehrmals eingebaut werden dürfen – und können, es gibt schließlich noch genug ***, die man *** kann, damit sie einem endlich den *** ***.
So aber hab ich irgendwann entnervt aufgegeben und stattdessen gezielt nach den Abschnitten gesucht, die einen weiterbringen, und mir dann den Weg dorthin rückwärts erklärt.
Sehr nett fand ich aber B95. Da bin ich durch meine Querbeet-Suche wenigstens auch drauf gestoßen. 😉