Gastrezension von Ackerknecht
Die Rübenernte war schwierig dieses Jahr: Dank des heißen Septembers war der Boden so trocken und hart, dass die Rübenroder die Rüben kaum aus der Erde bekamen. Bei überdurchschnittlich vielen Rüben sind außerdem die Spitzen abgebrochen. Das führt erstens zu weniger Ertrag (weil die Spitzen halt fehlen) und zweitens zu Problemen bei der Lagerung durch die „Wunden“ an den Bruchstellen. Hier können leicht Fäulnispilze in die Rüben eindringen. Außerdem ist durch die Trockenheit viel Flüssigkeit in den Rüben verloren gegangen. Das bedeutet kleinere (im Austausch aber auch süßere) Rüben.
Aber das sind alles Probleme, über die man im Bornland nur lacht: Zwar hat man keine selbstfahrenden Erntemaschinen, dafür aber blutende Rüben …
Und dies bringt uns direkt zum Heldenwerk-Abenteuer Rübenernte. Ich will das Abenteuer an zwei Leitlinien messen. Zum einen: Wie gut ist es als in sich geschlossenes, für einen Abend vorgesehenes Abenteuer spielbar? Denn dies scheint mir die Haupt-Prämisse hinter dem Heldenwerk zu sein. Oder anders formuliert: Eine meiner DSA-Gruppen wohnt etwa anderthalb Zugstunden von mir entfernt. Wenn ich mir das (ungelesene) Heldenwerk schnappe und mich nachmittags in den Zug setze, wie gut stehen die Chancen, abends ein gut vorbereitetes Abenteuer zu präsentieren?
Die andere Leitfrage ist: Wie gut kann ich das Abenteuer mit minimalem Zusatzmaterial vorbereiten und spielen – in diesem Fall will ich nur das DSA5-Regelwerk nutzen. Denn auch der „materialextensive“ Ansatz scheint eine Grundidee hinter den Heldenwerken zu sein.
Weitere Punkte, auf die ich achten will, sind die Spielbarkeit des Abenteuers an sich und ob das Szenario meiner Meinung nach „aventurisch-stimmig“ ist. Weniger gut beurteilen kann ich folgende zwei Dinge: Ob die Regeln korrekt umgesetzt sind und ob das Abenteuer gut in den aktuellen Metaplot passt. Bei diesen Fragen habe ich einfach zu wenig Ahnung, um eine faire Bewertung abzugeben.
Das Einhorn warnt: Ende der spoilerfreien Zone!
Ich fasse die Geschichte kurz zusammen: Die Helden kommen zur Zeit der Rübenernte in das bornische Dorf Neu-Wulzen. In jener Ortschaft spielen sich in letzter Zeit vermehrt merkwürdige Dinge ab:
- Nach mehreren Jahren mit reichen Rübenernten lassen sich die Wurzeln in diesem Jahr kaum aus der Erde ziehen. Und mehr noch: Teilweise bluten die Rüben.
- Die Esche auf dem zentralen Hügel ist vor kurzem von einem Blitz gespalten worden.
- Dies hat den Adligen Pjerow von Jellinske in den Ort gelockt, der verdeckt im Namen des Korsmal-Bundes im Dorf intrigiert.
- Unter anderem erpresst er die Junkerin Libussa von Wulzen mit dem Wissen um den Mord an ihrem Bruder (das er von der rachsüchtigen, geldgierigen Dorfbewohnerin Danja Ouvensen gekauft hat).
- Besagte Junkerin ist wegen dieser Erpressung noch abweisender als sonst und verbittet sich Einmischungen von außen, sei es durch die Helden oder die im Dorf als Priesterin wirkende Peraine-Akoluthin Prähngunde.
- Dazu kommen Geistererscheinungen eines lange verstorbenen Peraine-Geweihten, der als gefesselte Seele im Ort spukt.
Die Helden sollen in dieser Situation nun das Geheimnis der Rüben lösen. Dieses Geheimnis ist im „Erwachen des Bornlandes“ begründet: Ein Felsen namens „Trollkopf“ sammelt die magischen Kräfte der Erde, ist aber seit geraumer Zeit durch eine darauf gepflanzte Esche versiegelt. Nachdem ein Blitz diese Esche zerstört hat, treten diese Kräfte nun frei und verleihen den drum herum angepflanzten Rüben magische Eigenschaften, die sie zu einer potenten Zutat für diverse Alchemika machen. Ähnliches spielte sich zu Zeiten der Theaterritter vor ca. 800 Jahren ab. Damals brach ein kleinerer Konflikt um das Dorf Wulzen aus, der als „Rübenkrieg“ bekannt wurde, aber fast in Vergessenheit geriet. Das Wissen hierüber können die Helden im verschütteten Hesindetempel von Alt-Wulzen finden, einem Ort, der vor mehreren hundert Jahren wegen Versandung aufgegeben werden musste. Gleichzeitig gilt es außerdem, den Geist des Peraine-Geweihten Eschfried zu erlösen. Also einiges zu tun für motivierte Helden…
Seite 3: Das Abenteuer für den eiligen Leser, Hintergründe und der Weg ins Abenteuer
Die Komplexität für Spieler und Meister wird jeweils mit „mittel“ angegeben. Die Helden sollen „kompetent“ sein. Ersteres finde ich etwas hochgegriffen, hier kann man ruhig von jeweils „geringer“ Komplexität ausgehen. Das kommt mir bei meiner Zielsetzung der möglichst geringen Vorbereitung sehr entgegen. Mehr Kopfkratzen verursacht der zweite Punkt: Die Rübenernte ist ein Abenteuer für Bauergamer. Bauergaming findet definitionsgemäß eher im niedrigen Erfahrungsbereich statt. Ich glaube z. B. nicht, dass sich eine „kompetente“ Heldengruppe übermäßig stark von einer Geistererscheinung beeindrucken lässt. Regeltechnisch bin ich wie gesagt nicht besonders firm, aber keine der geschilderten Herausforderungen liest sich besonders schwierig. Von daher gehe ich davon aus, dass sich die Rübenernte auch mit eher unerfahrenen Helden spielen lässt.
Die oben angerissenen Hintergründe sind gut erläutert, der Weg ins Abenteuer überzeugt mich nur teilweise. Es werden drei Einstiegsmöglichkeiten genannt: Die erste Option ist, dass die Helden rein zufällig zum Rüben-Erntefest durchs Dorf reisen und so in die Handlung rutschen – finde ich eher mittelmäßig. Da bevorzuge ich Option zwei, die von einem Auftraggeber ausgeht, der die Helden bittet, in Neu-Wulzen nach dem Rechten zu sehen. Der dritte Einstieg erfolgt über den Metaplot der Theaterritter und Ermittlungen der Helden in Sachen Korsmal-Bund. Dieser Einstieg in eine Seitenqueste der Bornland-Kampagne erscheint mir am sinnvollsten. Aber letztlich geht es um ein Abenteuer für einen Abend, da sind alle drei Aufhänger in Ordnung.
Seiten 4-6: Das Rübenfest
Der Einstieg in die richtige Handlung erfolgt mit der bis dahin größten Erscheinung der gefesselten Seele des vor 750 Jahren verstorbenen Peraine-Geweihten Eschfried. Dieser Auftritt ist leider ein DSA-Vorlesetext der alten Schule: Der Geist hinterlässt seine kryptische Botschaft, interagiert wenig bis gar nicht mit den Anwesenden und nach seinem Verschwinden spielt er auch in der Aufregung der Dorfbevölkerung keine große Rolle mehr. Hier zeigt sich dann der Unterschied zwischen DSA in der vierten oder der fünften Version: Eine kompetente DSA4.1-Gruppe könnte hier mit Zaubern wie „Geister bannen“ oder „Pentagramma“ einiges durcheinander bringen, diese Optionen stehen aber unter DSA5 (noch) nicht zur Verfügung.
Auf diesen Seiten sind auch die Regeln zu Geistern als Ergänzung zum Grundregelwerk genannt. Diese Regeln mögen in sich stimmig sein – das kann ich nicht beurteilen. Dafür stoße ich mich aber an den Formulierungen. So wie ich es verstanden habe, wehren sich gefesselte Seelen mit einem Abwehrmechanismus, der regeltechnisch dem Zauber Horriphobus entspricht. Im Text steht aber: „Wenn Eschfried in Zorn gerät, zaubert er so lange Horriphobus, wie er kann.“ Wenn ich meinen üblichen Gruppen erzählen würde, dass der Geist eines Peraine-Geweihten anfängt, Horriphobi auf sie zu werfen, dann würde das Abenteuer ganz schnell in eine ganz andere Richtung gehen …
Seiten 6-11: Personen in Neu –Wulzen und Dorfleben
In diesen beiden Kapiteln geht es um die Ermittlungen der Helden in Neu-Wulzen. Diese Seiten sind mein Highlight des Abenteuers. Die wichtigsten Personen sind gut ausgearbeitet und ihre sozialen Verflechtungen nachvollziehbar dargestellt (hier wäre eine Beziehungskarte, wie sie in modernen Erzählspielen üblich ist, eine feine Sache). Den Helden stehen für ihre Gespräche die drei verbreitetsten Formen von zwischenmenschlicher Interaktion – Bequatschen, Bedrohen, Bezirzen – zur Verfügung. Alle Meisterpersonen sind mit den für den Einsatz sozialer Talente notwendigen Werten ausgestattet. Die Informationen, die zur Lösung der Mysterien nötig sind, sind in sinnige Häppchen aufgeteilt und auf die Dorfbewohner verteilt. Ich und die meisten meiner Spieler kämen wahrscheinlich nicht auf die Idee, mit einer Peraine-Priesterin zu flirten, um an relevante Informationen zu kommen (egal, ob sie 22 Jahre alt, naiv und hübsch ist). Aber das ist wahrscheinlich vom persönlichen Spielstil abhängig. Eine solche Priesterin als „für Betörenproben empfänglich“ darzustellen ist, glaube ich, schon große Spielleiterkunst. Dass der arrogante Adlige, der als zentraler Bösewicht fungiert, durch Komplimente am ehesten zum Reden gebracht werden kann, ist hingegen sehr schön und passend.
Das zweite Kapitel dieses Blocks gibt dem Meister verschiedene Werkzeuge an die Hand, um den Verlauf des Abenteuers dem Spielstil anzupassen. Beispiele sind:
- Magische Analysen der Rüben;
- Ein ältlicher Adliger, um die Handlung zusammenzufassen und ggf. in vergessene Richtungen zu leiten;
- Eine Zufalls-Kampfbegegnung;
- Ein betrunkener Jungmagier als „Comic Relief“ oder falls magische Unterstützung benötigt wird.
Damit kann man als Spielleiter gut arbeiten.
Seiten 11-12: Der alte Speicher
Jetzt geht es leider wieder etwas bergab mit dem Abenteuer: Wenn die Helden genug Hinweise gesammelt haben, werden sie ein weiteres Zusammentreffen mit dem Geist an der Stelle haben, an der er vor 750 Jahren starb: Dem alten Nahrungsspeicher des Dorfes (das Fachwort ist übrigens „Scheune“). Um die gefesselte Seele zu befreien, müssen die Helden verschiedene Aufgaben erfüllen, um sich so „Erlösungspunkte“ zu verdienen. Bei 15 Erlösungspunkten findet Eschfried endlich seinen Seelenfrieden – ansonsten fängt er wieder an, Horriphobi um sich zu werfen. Dieses regeltechnische Konstrukt der geisterhaften Selbstverteidigung habe ich weiter oben bereits kritisiert. Hier kommt aber noch hinzu, dass das Verhalten des Geistes unklar ist: Eine Möglichkeit, Erlösungspunkte zu verdienen, ist der Wiederaufbau des Nahrungsspeichers gemeinsam mit der Dorfbevölkerung – denn dies war Eschfrieds nicht erfülltes Lebensziel. Wann fängt der Geist denn mit den Horriphobi an? Wenn die Dorfbewohner sich weigern? Wenn der Aufbau nicht schnell genug geht? (Ja, man merkt, dass ich mit dem Horriphobus an dieser Stelle echt nicht viel anfangen kann. Aber sorry, das Kopfkino des Horriphobus-schleudernden Perainegeweihten geht einfach nicht weg…)
Ich habe ja schon durchblicken lassen, dass ich etwas Ahnung von Landwirtschaft habe, auch vom landwirtschaftlichen Bauen. Ich weiß, wie eine Scheune aussieht, wenn man sie 8 Jahre nicht benutzt und wenn man sie 80 Jahre leer stehen lässt. Nach 800 Jahren dürfte eigentlich genau nichts mehr davon stehen… und das ist auch einer meiner größeren Kritikpunkte an der Rübenernte: Die Vergangenheit, auf die sich bezogen wird, ist einfach zu weit weg. Ich weiß, dass das der Einbindung in die Theaterritterkampagne geschuldet ist. Ohne diese Einbindung würde ich die Ereignisse um den Rübenkrieg und den Tod Eschfrieds vielleicht 100-120 Jahre in der Vergangenheit ansiedeln. Das dürfte deutlich nachvollziehbarer und auch realistischer sein. Letztlich besteht der bestmögliche „Gewinn“ für die Korsmal-Kultisten aus den magischen Rüben, die ihnen lediglich ein paar bessere Willens- und Heiltränke verschaffen. Dazu kommt, dass es mit der Dorfbewohnerin Danja Ouvensen (die die Rüben nach Schwarztobrien verkaufen will) eine interessante zweite Antagonistin gibt. Die Einbindung in die Kampagne ist daher eher zweitrangig.
Seiten 12-14: Der versandete Tempel in Wulzen und das Finale
Vom befreiten Geist geleitet machen sich die Helden auf die Suche nach dem Hesinde-Tempel im untergegangenen Ort Alt-Wulzen. Wieso ein Dorf im Bornland mit Verbindung zu den Theaterrittern nun gerade einen Hesinde-Tempel hat, ist eine andere Frage, aber gut. Dieser Abschluss-„Dungeon“ ist wiederum unfassbar DSA-typisch: Keine geheimen Tunnel, keine Katakomben, keine mechanischen Todesfallen, welch die letzten 800 Jahre schadlos überstanden haben. Stattdessen ein einfacher Grundriss mit Haupthalle, Heiligtum, Lesesaal und Archiv. Hier können die Helden noch die Hintergründe zu den Rübenkriegen, dem Trollkopf, dem Erwachen und der Rolle der vom Blitz gespaltenen Esche erhalten. Außerdem legen die Antagonisten hier noch einen Hinterhalt mit entsprechendem Endkampf. Hier hadere ich wieder einmal mit den „kompetenten“ Helden. Wenn man nicht noch zusätzliche Söldner oder Kultisten von außerhalb einsetzen will, besteht die Opposition aus fünf Gegnern: Dem Kultisten Pjerow, Junkerin Libussa und den drei Wulzener Bütteln. Diese sollten für eine „kompetente“ Gruppe keine große Herausforderung darstellen.
Ganz zum Schluss kann es noch zu einer Verfolgungsjagd mit Ochsenwagen und einem Kampf um gestohlene magische Rüben kommen. Hier muss ich gestehen, dass mir beim Schreiben des letzten Satzes die Sonne im Bauergamerherz aufgegangen ist.
Das Einhorn verkündet: Ende des Spoiler-Bereichs
Was ist also mein Fazit der Rübenernte? Grundsätzlich erfüllt das Abenteuer meine oben formulierten Anforderungen. Die Rübenernte ist ein gutes, „hotzenplotziges“ Szenario, das einen spaßigen Abend hergeben sollte. Der versprochene Schwerpunkt der „sozialen Interaktion“ wird gut umgesetzt. Die gelungen beschriebenen Meisterpersonen machen es der Spielleitung einfach, eine passende Atmosphäre aufzubauen und den Plot voranzutreiben. Wenn man ein paar unpassende Aspekte in der Darstellung eines zentralen Geisterwesens anpasst, sollten sechs Einhörner sicher drin sein. Wenn man es losgelöst von der Theaterritterkampagne als One-Shot spielt, kann man das siebte Einhorn gern mit auf den Acker nehmen. Wenn man andererseits eine enge Einbindung an die Kampagne ausspielt und schlimmstenfalls noch einen simulationistischen Spielstil verfolgt, kann es jedoch passieren, dass ein oder zwei Einhörner doch lieber was anderes machen. Im Mittel sind die sechs Einhörner aber durchaus gerechtfertigt.
Weitere Rezensionen im Limbusnetz
- Engors Dereblick – 4 von 6 Punkten
- Nicos Gedanken – 8 von 10 Punkten
Nandurion dankt Ackerknecht für die Gastrezension und Ulisses-Spiele GmbH für das Rezensionsexemplar!
Ackerknecht ist als Zwölfjähriger Anfang der 90er in die Welt des Schwarzen Auges eingestiegen. Sein erstes Abenteuer war „Der schwarze Turm“ aus der DSA3-Basisbox. Frustriert darüber, dass er nie den Nerd-Cred der 1984er Erstspieler erlangen wird, versucht der bekennende Bauergamer verzweifelt, Aventurien mit Minimal-Erzählsystemen zu bespielen. Meistens spielt er dann aber doch seinen Puniner Magier. Ackerknecht lebt und arbeitet als Ackerknecht in der norddeutschen Tiefebene.
Schöne und nachvollziehbare Rezension, herzlichen Dank an Ackerknecht dafür!
Vielen Dank für das Lob!
Das Schreiben hat Spaß gemacht und die redaktionelle Betreuung war super!
Von mir auch vielen Dank an Ackerknecht für die schöne Rezension – tatsächlich habe ich das Abenteuer vor ein paar Wochen selber als Spielerin erlebt und sehe das Meiste genauso wie in der Rezension geschildert, inklusive der Kritikpunkte.
Insgesamt ist Rübenernte ein nettes kleines Ding für einen Abend, allerdings hat der SL bei uns einiges geändert, so dass die Dramaturgie nicht so richtig toll war – da kann aber natürlich das Abenteuer wenig für.
Pingback: URL