Gastrezension von Ackerknecht
Pünktlich zum Monatswechsel ist das neue Heldenwerk eingetrudelt. Und genauso pünktlich macht sich der Dauergastrezensent an seine Rezension. Anscheinend bleiben ihm dieses Mal die zerstückelten Säuglingsleichen erspart – dafür feiert ein anderer alter Bekannter aus der Heldenwerk-Serie sein Comeback. Ob der Blutige Wein wohl das Wohlwollen des Ackerknechts erlangen kann?
Bei Blutiger Wein handelt es sich mal wieder um ein Detektiv-Szenario. Dieses Mal werden die Helden in eine Fehde zwischen zwei Almadaner Winzerfamilien hineingezogen. Die Helden treffen pünktlich zum jährlichen Weinfest im Dorf „Horaskrug“ ein. Das Dorf hat es zu überregionaler Bedeutung in Winzerkreisen gebracht, seit die Winzerfamilien Amhila und D’Artuna es vor 50 Jahren geschafft haben, den sagenumwobenen „Gelbwein“ aus den Horaskrug‘schen Reben zu keltern. Das diesjährige Winzerfest artet jedoch unerwartet in eine Orgie größeren Ausmaßes aus – und am nächsten Morgen ist Eslam, das Oberhaupt der Familie D’Artuna, tot. Hat ihn der konkurrierende Winzerpatriarch Rondrigo Amhila erstochen? Oder waren es die zum Fest angereisten Gaukler? Gibt es ein dunkles Geheimnis, das die Fehde der Familien begründet? Und welche Rolle spielt die mysteriöse Schöne auf dem Coverbild des Abenteuers?
Das Einhorn warnt: Ende der spoilerfreien Zone!
Um die letzte Frage als erstes zu beantworten: Sie spielt keine Rolle. Ich möchte nur ein paar Worte zu einem unschönen Trend verlieren: Ich habe grundsätzlich nichts gegen die Darstellung holder Weiblichkeit einzuwenden, wohl aber gegen die Verwendung von sexy Eyecandy um des sexy Eyecandys Willen. Ich sehe aber auch ein, dass man das durchaus anders sehen kann, und ich gehe auch davon aus, dass die Zahl der möglichen Heldenwerk-Cover begrenzt ist.
Zurück zum Abenteuer: Natürlich gibt es ein dunkles Geheimnis um die zwei Familien. Vor 50 Jahren haben die Großväter der beiden Familien einen Handel mit dem reisenden Alchimisten Calvino Callaventra abgschlossen: Callaventra hat herausgefunden, dass sich die (ansonsten eher mittelmäßig vergärbaren) Horaskrug’schen Reben zur Herstellung von Gelbwein eignen. Im Austausch gegen eine satte Gewinnbeteiligung hat Callaventra den (damals noch befreundeten) Winzern Amhila senior und D’Artuna senior die Gelbweinkelterung beigebracht. Doch wie es so häufig ist: Die beiden Winzer wollten ein größeres Stück vom Kuchen und haben Callaventra mehr oder weniger aus Versehen während der Verhandlungen über die Höhe der Lizenzgebühren erschlagen.
50 Jahre später tritt nun Callaventras Nachfahre Famillo auf: Er hat im Nachlass seines Ahnen den Vertrag mit den Winzern gefunden. Da er selbst in chronischen Geldnöten steckt, will er Eslam D’Artuna und Rondrigo Amhila mit dem Vertrag erpressen. Sein erster Versuch ist allerdings gescheitert, daher setzt er jetzt auf dem Weinfest zum zweiten Anlauf an.
Das Abenteuer spielt in neuerer Zeit (ab 1039 BF laut Klappentext), ist von geringer Komplexität für die Spieler bzw. mittlerer Komplexität für den Meister. Es werden (mit zwei Punkten) gleichmäßig ausgeprägte Gesellschafts-, Wissens-, und Handwerkstalente gefordert. Die „lebendige Geschichte“ bleibt dank eines einzelnen Punkts unberührt. Auf Hellsichtmagier sollte (zu Recht!) verzichtet werden. Die geforderte Erfahrung der Helden reicht von unerfahren bis kompetent. Das Abenteuer ist recht offen angelegt: Es werden die Eckpunkte von Famillos Racheplan beschrieben, dann beginnt der Plot mit dem Weinfest und entwickelt sich je nachdem, wie die Helden einschreiten. Dementsprechend ist das Abenteuer auch aufgebaut, und so gliedere ich die weitere Rezension in drei Teile: Famillos Plan, Beschreibungen und ein typischer Ablauf.
Famillos Plan
Famillo reist verkleidet als „Junker Jagold“ gemeinsam mit den Helden in das Dorf Horaskrug. Dann versetzt er auf dem großen Dorffest den Wein mit Purpurmohn. Dieses Halluzinogen hat genau die gewünschte Wirkung: Das Fest artet in einen wilden Rausch aus. Famillo ersticht in dieser Nacht Eslam D’Artuna und versucht in der Folge, das Verbrechen entweder den Amhilas oder der auf dem Fest aufspielenden Gauklertruppe in die Schuhe zu schieben – je nachdem, welche Variante sich für ihn als günstiger erweisen dürfte. Dabei hat er immer ein Auge auf die Helden, deren Nähe er möglichst unauffällig sucht. Wenn sein Plan gut läuft, will er auch noch den zweiten Winzerkönig meucheln, alles unter der Prämisse, die Familien leichter erpressbar zu machen – schließlich suchen wegen seiner hohen Schulden Kopfgeldjäger nach Famillo.
Mir gefällt die Offenheit des Plans an diesem Szenario. Der Autor klammert sich nicht an einen einzelnen Plot, sondern gibt dem Meister verschiedene Möglichkeiten an die Hand, die Handlung entsprechend der Spieleraktionen und -reaktionen abzuwandeln. Leider leidet das Szenario an der „Heldenwerkkrankheit“: Die NSC-Pläne und die daraus entstehenden Plots müssen so einfach gestrickt sein wie irgend möglich, sonst reicht der Platz einfach nicht aus. Daher bin ich bei Detektivszenarien in diesem Format schon sehr vorsichtig geworden. Leider hat der Plot um Famillo ein paar Löcher. Zum Beispiel heißt es (keine zwei Absätze im Text voneinander entfernt) erst, dass Famillo die Winzerfamilien bereits mit dem Vertrag mit seinem Ahnen erpressen wollte, dann heißt es aber, dass der damalige Handel bei den jetzt lebenden D’Artunas und Amhilas vollkommen unbekannt ist. Auch kann ich Famillos Ziele nicht nachvollziehen: Wieso sollten die Familien leichter erpressbar sein, wenn man ihre Oberhäupter meuchelt? Das wirkt alles noch nicht zu Ende gedacht. Hier hätte man den Plan vielleicht besser noch linearer gemacht: Nachdem der Erpressungsversuch fehlgeschlagen ist, will Famillo jetzt nur noch Rache, ggf. als Raubmord ausgeführt, um die Schulden bei seinen Häschern zahlen zu können.
Die Beschreibungen
Ab Seite 5 werden die handelnden Personen, ab Seite 13 die Handlungsorte beschrieben. Wenn die Heldenwerkserie eines gut kann, dann das: Kleine Settings beschreiben. Auch wenn ich, wie man in meinen letzten Rezensionen nachlesen kann, häufig mit den dargestellten Plots fremdle, sind die Schauplätze und NSCs immer mindestens gute Ideensteinbrüche. So auch hier. Das Dorf mit den Handlungsschauplätzen ist super, und die NSCs sind interessant und gut beschrieben. Der inkompetente, auf Arbeitsvermeidung ausgerichtete Büttel ist vielleicht etwas zu klischeehaft, aber die Rahjageweihte, die die Purpurmohn-induzierte Orgie für ein „Großes Wunder“ hält, ist schon ziemlich klasse. (Trotzdem eine kleine Anmerkung: Ich würde eine Akoluthin aus ihr machen. Bei einer Geweihten weiß ich nicht, ob eine solche nicht in der Lage wäre, derartige Rauschmittel zu „erspüren“.)
In den Weinbergen von Horaskrug können die Helden übrigens die gefesselte Seele des Alchimisten Callaventra finden. Dieser Geist ist natürlich der ultimative Hinweisgeber in Bezug auf die Fehde zwischen den Familien, er eröffnet aber auch den Königsweg zur Beilegung derselben: Wenn seine Gebeine göttergefällig beigesetzt werden, kann er Frieden finden. Eine Bitte, der die von der Fehde lange erschöpften Winzerfamilien gerne nachkommen. Denn eigentlich waren die Stammväter der beiden Clans enge Freunde, die sich im Nachgang ihrer Bluttat entzweit haben. Und die heutigen D’Artunas und Amhilas fragen sich mehr als einmal, wieso sie eigentlich Streit haben…
Callaventra hat als gefesselte Seele einen zweistelligen Wert im Zauber Horriphobus (auch wenn er ihn dankenswerterweise nicht einsetzt – trotzdem einen schönen Gruß nach Neu-Wulzen!) Die Intrige Famillos wird hierdurch freilich nicht gelöst: Von seinem Nachkommen und dessen Alter Ego Jagold weiß der Geist nichts. Dieses Alter Ego ist rollenspielerisch die größte Herausforderung des Szenarios, wie wir im nächsten Kapitel sehen.
Ein typischer Ablauf
Da das Abenteuer relativ frei ist, werden zwei wesentliche „Events“ genauer beschrieben, die immer eintreten sollten. Alles Weitere hängt von den Spielern ab. Als erstes wäre da das Weinfest. Hier wird sehr gut die ausgelassene, immer wilder werdende Stimmung dieser Feierlichkeit beschrieben, inklusive Regeln für den „Wolf“ am Morgen danach. Ich kann mir vorstellen, hier einen atmosphärisch dichten, lustigen Einstieg zu finden, der dann hart-aber-gut in die kriminalistische Haupthandlung umschwenkt. Einzige Nörgelei an dieser Stelle: Famillos Geldsorgen könnten deutlich kleiner sein, wenn er nicht versuchen würde, ein komplettes Dorf mit einer 5-Dukaten-pro-Ticket-Droge außer Gefecht zu setzen.
Die zweite notwendige Begegnung sind die Kopfgeldjäger, die Famillo wegen der genannten Geldsorgen suchen und dazu auch die Helden befragen. Famillo kennen die Helden natürlich nicht, denn sie reisen ja mit Junker Jagold … und damit sind wir dann auch beim rollenspielerischen Hauptproblem, dass die „Komplexität (Meister): Mittel“ vom Klappentext mehr als rechtfertigt: Es ist richtig schwer, einen mitreisenden NSC unauffällig darzustellen, ohne dass die Spieler Lunte riechen. Das klappt selten bis nie und ist immer mit Aufwand verbunden. Wie viel Aufwand? Also, ich habe in meiner DSA1-Retrogruppe einmal einen Barden namens „Odilbert“ als selbstgewürfelten Spielerhelden in das Wirtshaus zum Schwarzen Keiler geführt. Ich hatte das Gefühl, dass ich einen solchen Charakter eventuell noch brauchen könnte, wenn ich das nächste Mal mit dem Meistern dran bin.
Je nachdem, wie die Helden agieren, findet das Abenteuer ein mehr oder weniger glückliches Ende. Perfekt wäre es, wenigstens einem der Winzer-Patriarchen das Leben zu retten und Famillo seiner gerechten Strafe zuzuführen. Minimalziel wäre, die Fehde der Winzer beizulegen und Calvino Callaventra borongefällig beizusetzen. Beide Handlungsstränge werden ordentlich präsentiert. Die Winzer-Fehde und ihr Hintergrund gefallen mir sehr gut. Famillos Plan braucht noch einiges an Feinschliff und eine geschickte Spielleitung, hat dann aber auch einiges an Potenzial. Leider wartet im spoilerfreien Bewertungsabschnitt noch etwas Ungemach auf dieses Heldenwerk…
Das Einhorn verkündet: Ende des Spoiler-Bereichs
Blutiger Wein ist ein ordentliches Szenario. Im schlimmsten Fall würde ich ihm fünf von neun Einhörnern geben, da das Heft mindestens ein guter Ideensteinbruch ist. Wenn man den zentralen Kriminalplot noch etwas strafft und von Logiklöchern befreit, ist auch ein sechstes Einhorn drin. Alles in allem ein solides Szenario.
Eine Spielempfehlung möchte ich trotzdem nicht geben. Denn das Abenteuer hat leider extrem starke Konkurrenz: Es gibt zum Thema „Winzerfehden in Almada“ das grandiose Abenteuer Eine almadanische Tragödie aus der Anthologie Ehrenhändel, dem ich persönlich auf jeden Fall den Vorzug geben würde. Aus dieser Nummer kommt der Blutige Wein leider ganz schlecht raus: Wer die almadanische Tragödie noch nicht gespielt hat, der sollte es auf jeden Fall tun, und wer sie bereits gespielt hat, der kann mit Blutiger Wein nicht mehr viel anfangen.
Eine almadanische Tragödie hat eine sehr makabre Handlung, und als Anthologieabenteuer sollte man auch mindestens mit zwei Abenden Spielzeit rechnen. Leuten, die ein weniger spezielles One-Shot-Abenteuer suchen, würde ich wiederum das Kurzszenario Unter Verdacht aus dem Aventurischen Boten 141 empfehlen. Das spielt zwar nicht in Almada, verwendet aber einige ähnliche Elemente und hat einen griffigeren Kriminalplot, der weniger Anforderungen an den Meister stellt.
Nandurion dankt Ackerknecht für die Gastrezension und Ulisses-Spiele GmbH für das Rezensionsexemplar!
Weitere Rezensionen im Limbusnetz:
- Engors Dereblick – 2 von 6 Punkten
Nachdem mein Projekt „Alle Heldenwerke 2017 rezensieren“ jetzt abgeschlossen ist, habe ich mir alle Rezis noch mal angesehen.
Bei diesem hier ist die Bewertung „slightly off“, vor allem im Vergleich mit meinen anderen Rezis. Was im Text steht, stimmt soweit, aber die Bewertung sollte eher bei 4-5 Einhörnern liegen.
Guten Rutsch und alles Gute für 2018!