Aves-Vademecum

Reise zum Horizont – nicht nur der Titel eines sehr schönen DSA-Abenteuers, sondern auch die Devise des Vademecums mit dem zweitbuntesten Cover. Aus Daniel Simon Richters bunter Feder (ba-dumm-tss) stammt das Aves-Vademecum, das Freunden des wanderlustigen Halbgottes vertiefende Informationen und Spielanregungen geben soll.

Punkten kann der Band schonmal mit dem wirklich schönen Cover von Janina Robben. Auch die Innenillustrationen gefallen mir alle sehr gut, auch wenn viele von ihnen mehrfach verwendet werden. Interessant finde ich die Aves-Darstellung auf Seite 11, auf der eine weibliche Version der Gottheit abgebildet ist. Das passt aber zu den Texten im selben Abschnitt, nach denen Aves auch durchaus als Wanderin auftauchen kann.

Als Ingame-Verfasserin des Buches fungiert Averia ter Aarhoven, die allerdings nicht das ganze Buch verfasst, sondern Texte verschiedener Geweihter zusammengetragen hat. Ähnlich wie schon beim Tsa-Vademecum, das ingame auch von einem tsa-interessierten Magier zusammengetragen wurde, wird mit diesem Kunstgriff erklärt, wie eine so wenig zentral geführte Kirche zum Vademecum gekommen ist – eine schöne Lösung.

Kapitel I – Wesen des Herrn der Horizonte

Das Kapitel beginnt mit einigen Ingame-Texte zu Aves in verschiedenen Kulturen und seiner mythologischen Herkunft. Hier wird auch noch einmal erwähnt, dass die bildliche Darstellung des Gottes sehr unterschiedlich sein kann, vom klassischen Wanderer über den Seefahrer oder Pilger bis hin zur überderischen Gestalt auf dem von Paradiesvögeln gezogenen Wagen, wie sie vor allem in der tulamidischen Ausprägung bekannt ist. Kurz wird noch einmal Aventurien als Aves‘ Kontinent genannt, auf dem es in fast jeder Kultur Personen mit großer Reiselust gibt. Es folgen Beinamen, Grundsätze, Legenden von Aves – besonders die, in der er als Wanderer auftaucht und Menschen ihren geheimsten Wunsch „eingibt“ um ihr Leben zu verändern finde ich sehr cool, da sie einen schönen Plotaufhänger anbietet.

Kapitel II – Begleiter des fröhlichen Wanderers

Hier werden zu nächst die wenigen alveranischen Gestalten vorgestellt, die zum Gefolge des Reisegottes gehören. Da wäre zum einen Adivios, der Reitvogel, ein vielgestaltiges Reittier, das auch durchaus kämpferisch für Aves eintreten kann. Interessant finde ich hier sowohl die Spekulationen über eine Verbindung zum Lichtvogel als auch das mythologische Nest des Paradiesvogels, das das Ziel einer Queste darstellen kann, ohne dass sicher ist, dass ein solcher Ort auf Dere wirklich existiert.

Zum anderen gibt es Avatas die Bunte, eine erst seit kurzer Zeit bekannte Gestalt, die Menschen hilft aus Notsituationen zu fliehen und oft in den Schattenlanden oder der Wildermark auftaucht. Ob es sich bei ihr um eine Inkarnation von Aves selbst, eine Erwählte oder eine Alveraniarin handelt, ist unklar. Auch das schreit wieder „mach ein Abenteuer aus mir!“ – super.

Dann wäre da noch das neue Konzept der Heldenkinder oder Avites – besonders avesverbundene Familien, denen eine Herkunft von Aves selbst nachgesagt wird. Beispiele sind die Familien Sanin und Dhachmani, die beide ja eine erklecklichhe Anzahl an legendären Entdeckern vorweisen können. Da das Ganze auch eher als Mythos aufgebaut wird und es keine neuen Regelaufsätze mit Inhalt dschinnenavesgeboren gibt, kann jede Gruppe selbst entscheiden, ob da auch (regeltechnisch) was dran ist, was mir eine gute Lösung erscheint.

Heilige an sich kennt die Kirche nicht, jedoch stellt das Vademecum eine Anzahl an bekannten Avesjüngern als Vorbilder vor, wie z. B. wie Rateral Sanin III., Kara ben Yngerymm, die Hetfrau der Hetleute Garhelt etc. Dies ist verbunden mit der Aufforderung, noch lebende Personen unter ihnen aufzusuchen und von ihnen zu lernen. Insgesamt ein schöner Abschnitt, der Avesgeweihten nicht nur ein paar Anregungen für große Vorbilder oder bekannte Gestalten der Kirche gibt, sondern auch einige mögliche Ziele ins Spiel bringt, wie z. B. den berühmten Skalden Ohm zu treffen, der mit Phileasson auf Wettfahrt ging.

Kapitel III – Die Avesjünger

Alles, was der Avesgeweihte von Welt so braucht (Bild von Katharina Niko)

Hier geht es nun konkret um die Kirche des Aves und deren Struktur. Da Avesgeweihte so ihre Probleme mit hierarchischer Herrschaft haben, ist auch die Struktur der Kirche passend zur Freiheitsliebe des Gottes wenig streng und sehr im Fluss. Es gibt eine Vorstellung der Titel der verschiedenen Geweihten und deren Flöten (aus Holz, Silber, Gold und Lapislazuli) als Statussymbol. Es folgt eine Abhandlung über die verschiedenen Denkschulen der Aveskirche, denn neben den Zugvögeln, die Aves als Gott des Reisens verehren, gibt es auch noch den (weniger verbreiteten) Ansatz, Aves als Gott des Schicksals anzusehen und zu versuchen, den von ihm gesponnenen Schicksalsfäden zu folgen. Als dritte Strömung gibt es noch die Stillen Wanderer, die zwar auch geweiht sind, sich aber nicht durch Robe und Flöte zu erkennen geben, sondern in der Kluft eines ganz normalen Wanderers durch die Lande ziehen.

Die Gemeinschaft der Freunde des Aves bekommt ebenfalls einen eigenen Abschnitt, da sie eng mit der Kirche verknüpft ist. Die meist reichen Mitglieder dieser in Vinsalt beheimateten Loge sind zwar keine Geweihten, finanzieren aber Expeditionen, bezahlen die Ausbildung avesgefälliger Professsionen und sind als Geldgeber ein wertvoller Verbündeter, der aber immer auch eine Gegenleistung erwartet. Gut gefällt mir, dass im Eingangszitat sehr deutlich wird, wie ambivalent die Rolle der Geldgeber sein kann, wenn einerseits eine Expedition zu einem alten Avesha-Tempel finanziert wird, diese aber andererseits das dort vermutete Mosaik dann schon bitte in Vinsalt als neue Dekoration abliefern soll.

Weiter geht’s mit einem Abschnitt zur Tracht der Geweihten sowie Stab und Flöte. Danach folgen einige wichtige Persönlichkeiten der Kirche, die sicherlich für Spieler von Geweihten interessant sind und der Spielleitung weitere Inspirationen und Ideen geben sowie als NPCs auftauchen können. Regional sind diese einigermaßen breit gestreut, von Garetien bis ins ferne uthurische Nova Methumisa. Wie sehr man jetzt den Werbehinweis auf Auf Avespfaden gebraucht hätte – sei es drum. Eigentlich mag ich Verknüpfungen zwischen Publikationen ja schon. Schade hingegen finde ich, dass [Spoiler für Jenseits des Horizonts] Phexiane Jaraldos fehlt, die man als aventurische Avesgeweihte in Myranor sicherlich auch noch hätte erwähnen können. [/Spoiler Ende.]

Kapitel VI: Heilige Orte und Gegenstände

Hier finden sich einige philosophische Betrachtungen zum Nest des Paradiesvogels, die Alveransfeder, mit der Schiffe vor der Fahrt ins Güldenland gesegnet werden, die Lapislazuliflöte des Kirchenoberhaupts und der Avesstab. Mir neu war die Karte des Parinor Ress, die unbekannte Landmassen auf einer gigantischen Karte aus Perldrachenleder zeigt und das Vademecum um einen weiteren Plothook erweitert. Am Ende des Abschnitts werden noch einige wichtige Bücher, wie der Aventurische Atlas, vorgestellt.

Schließlich werden in diesem Kapitel einige wichtige Tempel näher beschrieben, von den großen und bekannten wie in Gareth oder Fasar über kleinere Schreine bis hin zum Wagen einer fahrenden Geweihten.

Kapitel V: Gebete und Anrufungen

Herrin der Horizonte (Bild von Katharina Niko)

Erst einmal gibt es hier einige allgemeine Angaben zu Gottesdiensten und Predigten, die wenig formalisiert sind und oft Bewegung, Flötenspiel oder Schrittfolgen beinhalten, aber auch stille Meditation und Versinken in den Sternenhimmel zum Inhalt haben können.

Dann folgen einige beispielhafte Gebete und Predigten, die von der Anrufung Avatas über ein Gebet gegen Schlangen bis hin zu einer aufrührerischen Predigt zur Schollenflucht reichen. Die wenigen gereimten Passagen haben mir nicht sonderlich gefallen, aber sonst sind die Texte gut. Auch die zwei Aves-Lieder sind nett. Hinter dem ersten verbirgt sich vermutlich „Heute hier, morgen dort“, was man nochmal hätte dazuschreiben können, damit man eine Melodie dazu hat. Zum zweiten gibt es im Anhang aber sogar noch Noten.

Kapitel VI: Liturgisches Wirken

Auch hier wird noch einmal betont, wie individuell jeder Geweihte ist und dass jeder seine Liturgien wohl etwas anders wirkt als der nächste Geweihte. Danach folgen dann aber einige konkrete Vorschläge für Segen und Liturgien. Auch diese gefallen mir, zumal sie auch immer noch einige nette rituelle Handlungen (Federn an die Schuhe binden, einen Gegenstand vom Ort des Aufbruchs benutzen) mit sich bringen.

Kapitel VII – Anregung zur Ausgestaltung eines Avesgeweihten

Hier werden zunächst noch einmal die drei Strömungen der Aveskirche vorgestellt, die schon in Kapitel III genannt wurden. Es folgen Gebote, Tugenden und Ideale, die noch einmal die wichtigsten Prinzipen des Glaubens vorstellen. Daran schließt sich ein Abschnitt über das Verhältnis zu anderen Kirchen an, zunächst als Fließtext, dann nochmal in Tabellenform, wobei letztere sehr schön und übersichtlich ist und ersterer dadurch ziemlich redundant wird. Ein kurzer Abschnitt zur Sicht des Volkes auf Avesgeweihte, der aber auch nur nochmal auf die Probleme von Leibeigenschaft und Schollenflucht verweist, erscheint mir eher überflüssig. Unter „Motivation und Konzept“ und „Avesgeweihte als Begleiter“ findet sich auch nichts, was nicht aus der Lektüre des restlichen Buches schon klar wäre, so dass diese Abschnitte vermutlich nur sinnvoll sind, wenn man nur den Outgame-Teil liest. Es folgt abschließend die Aufmunterung, mit den Regeln der Liturgieerweiterung aus Aventurische Götter die Liturgien des Geweihten zu individualisieren – ein Beispiel wäre hier vielleicht schön gewesen.

Zum Schluss gibt es noch unter der Überschrift „Avesgeweihte am Spieltisch“ einige Vorschläge, welche Varianten man spielen kann und welche Talente und Sonderfertigkeiten dafür sinnvoll sind. Leider sind diese sehr knapp gehalten und umfassen nur zwei Seiten. Schade, denn hiervon hätte ich gern noch etwas mehr gesehen.

Fazit und Bewertung

Wer selbst eine Avesgeweihte spielt oder als Spielleiterin einen solchen in der Gruppe hat, macht mit dem Kauf des Aves-Vademecums meiner Meinung nach nichts falsch. Es enthält gerade in den ersten Kapiteln einige schöne, neue Konzepte und Mysterien, aus denen sich sowohl Charaktermotivationen als auch interessante Plothooks für Abenteuer mit Fokus auf die Aveskirche ergeben. Die Beschreibung der Kirche mit ihren Hierarchien, heiligen Orten und Gegenständen sowie die Ausarbeitung von Gebeten und Liturgien sind solide, wenn auch nicht sprachlich besonders herausragend. Der Outgame-Teil ist ein wenig enttäuschend, da er fast nichts Neues bietet, was nicht schon aus der Lektüre des Ingame-Teils klargeworden wäre. Auch die Spieltipps und Varianten der Geweihten sind zwar nett, hätten für mich aber gerne noch ausführlicher sein können. Andererseits sind Avesgeweihte vermutlich die am leichtesten ins Heldenleben und in die Heldengruppe zu integrierenden Gesellen, die man sich vorstellen kann, von daher ist auch der Bedarf an Ratschlägen jetzt weniger hoch als beispielsweise bei Praios- oder Rondrageweihten.

Insgesamt schwanke ich bei der Bewertung zwischen 6 und 7 Einhörnern, durch die stimmigen Illustrationen und die schönen Anregungen für avesbezogene Plots lande ich dann aber doch bei 7 Einhörnern, die sich mit bunten Bändern in der Mähne zum Horizont aufmachen.

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Nandurion dankt Ulisses-Spiele GmbH für das Rezensionsexemplar!

 

Über Curima

Moin, ich heiße Lena, bin 32, komme aus Hamburg und spiele seit 2003 DSA. Ich spiele lieber als ich leite und schicke meine diversen Charaktere fast jeden Samstag durch Aventurien. Seit Mitte Mai 2012 arbeite ich bei Nandurion mit.
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