Calavanti ist Carolans bevorzugter Name – in jeder Stadt trägt er jedoch einen anderen. In Kuslik wird er wegen Betrugs gesucht und nennt sich Ramirez Zotti, in Grangor ist er als Hochstapler Lorenzo Dicora bekannt und in Vinsalt sucht ihn die Garde wegen Diebstahls unter dem Namen Furio Faruzzi. Der Streuner mit den spitzen Ohren wuchs als Findelkind im Vinsalter Tsatempel auf, wo ihn die Geweihten vor fast dreißig Jahren an der Pforte fanden. Schon bald erkannten die Geweihten, dass ein Elternteil wohl elfisch war, aber dieser Umstand hinderte sie nicht daran, ihm gute Eltern zu sein und ihm ein neues Zuhause zu bieten.
Immer wieder stolpert Carolan durch Missgeschicke in gefährliche Situationen. Phex scheint dem Halbelfen aber dennoch beizustehen, denn genauso oft gelingt es ihm durch Zufall, sich wieder aus allen nur erdenklichen Lagen herauszuwinden. Er selbst nimmt sein wechselndes Glück dem Fuchsgott nicht übel. Als jemand, der jahrelang in einem Tsatempel wohnte und die Lehren der Göttin des Neuanfang verinnerlichte, weiß Carolan, dass jede Situation eine neue Chance bietet – man muss sie nur ergreifen und mit Humor nehmen.
Oft am Rande der Legalität und immer mit ein paar Assen im Ärmel trickst sich der halbelfische Streuner durch so manche Situation. Eine Gruppe kann Carolan meiner Erfahrung nach vor allem ergänzen, indem er die Angriffe gefährlicher Gegner gezielt auf sich zieht. Sein Ausweichenwert ist mit 8 Punkten der höchste im Spiel und lässt sich mit Athletik und Akrobatik auf 11 erhöhen. Mittels Wachsamkeit und Entrinnen lässt sich die Wahrscheinlichkeit Schaden bei gelungenem Ausweichen zu halbieren noch weiter in die Höhe treiben. Wenn dann noch leichte und mittlere Rüstungen schützen, kommen schon mal von 10 Trefferpunkten nur noch 3 als Schaden durch. Bei dem Ausbau in diese Richtung bieten sich als Belohnungskarten vor allem der Axxeleratus-Gürtel für mehr Ausdauer an und wegen dem häufigeren Würfeln aufgrund der Wiederholungseffekte ein Schwarzes Auge um nicht mehr zu patzen. Im Abenteuermodus wirkt der Taschendiebstahl auch oft Wunder, denn sich selbst und die Mitspieler 6 Karten ziehen zu lassen, ist wohl der stärkste Zieheffekt im Spiel. Die Selbstaufgabe ist neben Balsam und Heiltränken eine der wenigen mächtigen Heilkarten, die ausgeschaltete Helden direkt wiederbeleben können und sollte daher je nach Gruppenaufstellung gewählt werden. Bei solch altruistischen Taten sehen es einem die Gefährten dann auch eher nach, wenn man mittels einem Schlösser knacken auf ihr abgelegtes (Waffen)repertoire zugreift. Viele der andere freien Aktionen und damit einmaligen Karten sind eher weniger für den Abenteuermodus geeignet, glänzen dafür aber im Duell. Genau hierzu gebe ich damit das Wort an den geschätzten Grolm weiter.
Der Grolm meint:
Der listenreiche Streuner verfügt über spürbar mehr Talente und Vorteile als seine Kameraden und vor allem hierbei über solche, die das Spiel vornehmlich indirekt beeinflussen. Eine wirklich herausragende Karte aus meiner Sicht ist hier der Taschendiebstahl, mit dem ich dem Gegner eine Rüstung oder Ausrüstung (wichtig: keine Waffe) stehlen kann. Auch mächtig ist die Kurze Ohnmacht, mit der ich dem Gegner gleich drei Karten auf einen Streich von seiner Hand entfernen kann – eine wirklich unangenehme Erfahrung. Falsches Spiel ist die einzige Karte aus der Grundbox, mit der es möglich ist, wieder an seine ausgelegten Ausdauerkarten zu kommen. Im späten Spiel gezogen hat die Karte durchaus einen Wert, denn nicht selten müssen zu Beginn Karten in die Ausdauer wandern, die erst spät einen Nutzen haben würden. Verspotten ist eine ausgesprochen gute Karte, um die Aktivitäten eines Gegners in einem Spielzug – zumindest was das Spielen von Aktionskarten angeht – komplett lahmzulegen. Das bietet sich übrigens häufig für den dritten Spielzug des Gegners an, da meist im dritten Spielzug des Gegners die spielentscheidenden Angriffskarten (z. B. 1W+5 Waffen) gespielt werden. Hierdurch kauft man sich etwa einen Spielzug mehr Luft.
Die spielunterstützenden Karten sind für Carolan wichtig, denn sein Angriffsprofil mag zwar mit Werten von 12 und 11 in Summe gar nicht so weit von denen der anderen Helden entfernt zu sein, doch verfügt Carolan über keinen Angriff über den Schaden von 1W+4 hinaus. Das spürt man auch durchaus im Spiel. Daran ändert hierbei wenig, dass Carolan – was positiv ist – in den beiden Angriffsarten über jeweils drei Waffen im Deck verfügt und hier nie in einen Engpass geraten wird. Bei genauerer Betrachtung versteckt sich hier nämlich trotzdem wieder der Glücksfaktor. Denn in jeder Angriffsart gibt es jeweils nur eine Angriffskarte mit 1W+4 Trefferpunkten. Sehr nett wiederum ist, dass Carolan mit dem Wurfmesser über einen schnellen Angriff verfügt, der ihn schon vom ersten Spielzug an gleich zwei Angriffe durchführen lassen kann.
Markant und passend ist für den gewandten Streuner dessen Ausweichenwert von 8, mit dem er sich einiges an Schaden vom Leib halten kann. Das ergänzt sich zusätzlich noch gut mit einiger Rüstung in seinem Deck. Hierüber kann Carolan eine ganz gute Defensive aufbauen. Eine eher schwächere Sonderfertigkeit stellt die Aufmerksamkeit dar. Dieser Effekte hat den Nachteil, nicht universell gut, sondern eher situativ zu sein. Und mit Pech fängt man im Spiel hierüber nur z. B. 3 oder 4 Lebenspunkte ab.
Im Standardeck und auch im Abenteuer hat Carolan zwar immer auch grundsätzlich Spaß gemacht, lag aber im Hinblick auf Performance und Spiel Unterhaltsamkeit immer eine Nasenlänge hinter den anderen Helden. Das hängt sicherlich mit den oben beschriebenen Einschränkungen zusammen, aber auch wahrscheinlich mit einem im Balancing einen Hauch schwächeren defensiven Set Up des Charakters. In der 3. Auflage ist daher bei Carolan ein bisschen was passiert. Die erheblichste Neuerung ist sicherlich, dass er nun einen kostenfreien Nahkampfangriff erhält, um den Streuner deutlich offensiver auszurichten. Das bedeutet umgekehrt formuliert also solange einen geschenkten Punkt Ausdauer bis die gewünschte Nahkampfwaffe ausliegt. Und das können auch mal fünf Runden sein. Das ist wahrlich nicht ohne.
Balance
Insbesondere bei Spielen mit Wettbewerbsanteil versuchen Spieledesigner möglichst alle Effekte und bei Aventuria auch Heldendecks bezüglich ihrer Wahrscheinlichkeiten und Wirkungen gegeneinander auszutarieren. Damit soll zum einen Chancengleichheit hergestellt und zum anderen alle Teile des Spiels praktisch brauchbar gemacht werden. Bei Aventuria kommt zu den Heldendecks zugleich das Ausbalancieren im Abenteuermodus in Bezug auf die Gegner hinzu.
Nützliche Anpassungen gab es auch an zwei Aktionskarten. Die Finte ist nun darüber aufgewertet, dass ihre Kosten auf 1 Ausdauer gesenkt wurde und die Trefferpunkte von 8 auf 7 gesenkt wurden. Die 7 ist immer noch hervorragend, um in den ersten Spielzügen einen ungünstigen Schadenswurf aufzuwerten (im „Bestfall“ kann die Finte also 6 TP wert sein). Nun aber hat sie auch einen Wert im späteren Spiel, wo man Helden mit großkalibrigen Waffen ordentlich ärgern kann, indem maximale Schadenswürfe auf 7 TP herunter gestutzt werden können. Die andere Karte mit einer Verbesserung ist Verbindungen. Nun muss der Spieler keine Karte mehr nach dem Ziehen ablegen. Dies macht die Karte sozusagen zu einer flexiblen Urkunde des Hochkönigs, man kann also nun ohne weiteres auch vier oder fünf Karten – ohne Nachteile – ziehen. Hier wird die Synergie mit der Karte Selbstaufgabe so langsam auch eine runde Sache. Zusammen mit Beutezug besitzt der Streuner also zwei Kartenzieh-Effekte, was ein Alleinstellungsmerkmal ist und für ein schnelles Deckdurchflügen ausgesprochen nützlich ist. Bei den beiden Verbesserungen darf man natürlich nicht vergessen, dass auch Carolan ein Opfer des Zechen Nerf geworden ist, was die beiden Verbesserungen auch ein bisschen relativiert.
Drosseln / Nerf
Wenn die Spielbalance durch einzelne Karten stark beeinflußt wird, gibt es mehrere Maßnahmen nachträglich auf bessere Balance hin gegenzuwirken. Solche Karten oder Effekte werden gerne als „broken“ oder „imba“ bezeichnet. Wenn man eine Karte nicht gänzlich verbieten möchte, kann man aber ihre Wirkung drosseln.
Auch wenn nicht Duell-relevant sei der Vollständigkeit halber auch gesagt, dass es noch eine Regeländerung bei der Karte Verspotten gab. Im Abenteuermodus ist es nun nicht mehr möglich, einen Gegner seine Kameraden schlagen zu lassen. Die Möglichkeit, einen Anführer seine Schergen angreifen lassen zu können, war einfach zu sehr broken. Zieht man einmal ein Resümee über den Carolan der 3. Auflage, lässt sich feststellen, dass er nun absolut auf Augenhöhe mit den anderen Helden ist und deutlich an Offensivkraft hinzugewonnen hat. Auch findet man kaum noch eine schwarzes-Heldenkürzel-Karte, die nicht einen schönen Nutzen hat.
Carolan hat sich in meinen Abenteuer-Runden als echter Teamspieler erwiesen, der keinen Mangel an Ausdauerpunkten hatte und durch die erwähnten Kartenzieheffekte auch sehr schnell an alles kam, was der Halbelf von Welt so braucht. Selbst seine im Duellmodus zurecht bemängelte Sonderfertigkeit kommt im Abenteuermodus besser und öfter zum Einsatz. Die Änderungen der dritten Auflage ändern an diesem Gesamteindruck in Summe wenig.
Wer weniger Wert auf schwere Waffen und hohe Schadenswerte legt und eher eine Gruppe stabilisierend ergänzen oder im Duell mit Tricks operieren möchte, ist beim Streuner gut aufgehoben.
Mit Carolan Calavanti sind wir durch die Heldendecks der Grundbox durch, als nächstes schaue ich mir mit euch und dem Grolm den Perainegeweihten Bruder Hilbert an. Zum Abenteuermodus geben wir erst später allgemein einen Überblick.
Schreibt uns gern, welche Erfahrungen ihr mit Carolan gemacht hat.
Nottel
Pingback: Aventuria: Nandurion kommt Carolan Calavanti auf die Schliche – Nuntiovolo.de
Vielen Dank für den schönen Beitrag! 🙂
Danke für das Lob. Nottel und ich versuchen momentan „Aventuria“ etwas mehr in den Fokus zu rücken. Ist aber nicht immer einfach, da wir ja gleichzeitig auch noch andere „Projekte“ verfolgen – ich schreibe zum Beispiel parallel auch Rezensionen für Abenteuer und das will man dann ja auch nicht vernachlässigen…
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