Mittlerweile bin ich Mitte 30, habe aber nie einen Escape-Room betreten. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass Escape-Games boomen. Da ergibt es Sinn, das Konzept nach Aventurien zu übertragen. Schließlich ist die Situation, dass Menschen in einem Gewölbe oder Kerker gefangen sind, quasi ein ureigenes Element von Rollenspielen. Jeanette Marsteller, die Autorin, verspricht uns ein mysteriöses Grabmal mit uralten Geheimnissen, verzwickten Fallen und verborgenen Schätzen. Ob mich das Ganze überzeugt, will ich gern erläutern…
Die Handlung spielt in Tobrien, wobei der Spielleiter entscheiden darf, wo genau: Eslamsbrück, Mendena und Perainefurten werden als Startpunkte empfohlen und treffend skizziert. Vor Ort geraten die Helden auf die Spur geheimnisvoller Relikte und müssen in Hehler- sowie Händlerkreisen ermitteln. Dabei gerät man in den Dunstkreis der Abenteurerin Nella, in dem auch der Ganove Raffzahn eine zentrale Rolle spielt. Kern der Episode sind die Relikte, welche die Handlung in Gang setzen: Es sind verlorene Schätze der Al’Hani, also „Museumsstücke“ aus der Frühzeit der heutigen Norbarden, die das Interesse der Spieler wecken. Dabei beweist die Autorin Talent und vermeidet jegliches Railroading. Es wird nämlich der jeweiligen Spielrunde freigestellt, ob die Helden aus Eigenantrieb oder aufgrund eines Auftraggebers nach dem Ursprung der Fundstücke suchen.
Nach diesem Vorgeplänkel sind die Helden in der Lage, das Grabmal zu finden und zu betreten. Hier ganz subjektiv meine Meinung: Die Vorgeschichte ist handwerklich gut gemacht, aber das, was mich fasziniert, ist die Erforschung des Grabmals! Die Story rund um die Abenteurerin Nella ist letztlich austauschbar, daher würde ich als Spielleiter so schnell wie möglich mit dem „Dungeoncrawl“ beginnen, denn der hier ausgearbeitete Dungeon ist ein Highlight, das sowohl Spielern als auch Spielleitern Spaß machen wird.
Achtung Spoiler!
Die Gruft, die man betritt, ist schaurig und düster. Die Helden meinen fast, die finsteren Höhlenwände könnten sie umschlingen und erdrücken. Zudem gibt es sozusagen Schockmomente, die den ein oder anderen auch regeltechnisch in Furcht versetzen. Zudem wird klar, dass hier kein Zufallsdungeon durchkämmt wird, sondern ein Höhlensystem, das Klugheit und Wagemut der Eindringlinge gezielt prüft. Die Tatsache, dass das quasi im Namen Heshinjas geschieht, macht die Mythologie Aventuriens greifbar. Das gefällt mir sehr.
Stilvoll sind auch die Rätsel und Fallen, welche die Gruft der Königin bereithält. Das Thema „Bienen und Insekten“ durchzieht wie ein roter Faden das gesamte Gewölbe. Es gibt zwar die Möglichkeit, Rätsel auch durch Sammelproben bzw. Auswürfeln zu bewältigen, doch ich persönlich denke: Wenn man sich dieses Abenteuer vornimmt, muss man die Rätsel durch Nachdenken und Knobeln am Spieltisch lösen. Ansonsten sollte man zu anderen Abenteuerheften greifen! Und es lohnt sich, denn die Knobeleien sind stimmungsvoll in die Struktur der Grabkammern eingebettet. Ein gutes Beispiel ist eine Goldstatue, die nicht nur eine spannende Rechenaufgabe, sondern auch mörderisch scharfe Stacheldornen bereithält. Die Spielercharaktere müssen hier austüfteln, welcher Bienenstachel der richtige (also der ungefährliche) ist und dann unter diesen Stachel greifen, um mit einem Schalter eine Tür zu öffnen. Jeanette Marsteller hat hier Räume und Kammern ersonnen, die jedenfalls meinen Geschmack treffen. Mit Bezügen zur Schwarmgöttin Mokoscha und zum Pantheon der Norbarden hat die Autorin unverbrauchte Aspekte Aventuriens toll in Szene gesetzt.
Die Spieler werden sich im Grabmal wie Indiana Jones fühlen, wenn sie rätselhafte Sarkophage mit Geschick öffnen, indem sie Zahlenglyphen entschlüsseln. Im Stil des wagemutigen Entdeckers müssen die Helden einen uralten Rätselpfad beschreiten und mysteriöse Spielsteine sammeln, um ans Ziel zu gelangen. Das Abenteuer ist dabei so konzipiert, dass die Spieler den Rätselpfad weitestgehend beschreiten müssen, da sie – nach dem ersten Betreten der Gruft – unter der Erde eingeschlossen sind. Dies empfinde ich keineswegs als Gängelung der Spieler, sondern als stimmige Game-Design-Entscheidung. Das Abenteuer heißt nicht ohne Grund: GEFANGEN in der Gruft der Königin.
Die Gegner, die im Grabmal lauern, sind zum Glück keine Räuber oder Orks, sondern recht außergewöhnliche Widersacher: Ein gigantischer Tausendfüßler, ein Wächterdämon und archaische Kriegsmumien bringen Abwechslung in den Heldenalltag. Auch für den Fall, dass die Spielercharaktere irgendwann nicht weiterwissen, wurde vorgesorgt: Mit Hanija enthält die Gruft einen guten Geist, besser gesagt eine ruhelose Seele, die quasi als Joker genutzt werden kann. So muss der Spielleiter nicht „von außen“ Tipps geben, sondern kann ingame individuell unterstützen, falls das – etwa bei einigen Rätseln – nötig wird.
Das Einzige, das mir in der Gruft fehlt, ist ein einprägsamer NSC. Es gibt zwar Hanija, die hier als gefesselte Seele rumgeistert, aber wirklich interessant finde ich sie als NSC nicht. Die Chance, den Wächterdämon als coolen NSC zu gestalten, wurde ebenfalls verpasst. Der Dämon verfügt laut Beschreibung über kein Gesicht und wirkt leider sehr blass bzw. charakterlos. Eigentlich schade!
Ende der Spoiler-Zone
Ich nehme an, dass verflucht viel Energie in die Entwicklung verschiedener Rätsel geflossen ist, so dass man es vernachlässigt hat, im Grabmal einprägsame NSCs einzubauen. Da jedoch die Gruft an sich und die dortigen Rätsel verdammt gut designt sind, ist das verständlich und sozusagen eine lässliche Sünde. 😉
Ulisses stellt auf der allseits bekannten Website die Handouts zum Abenteuer als Download zur Verfügung. Die sechs Seiten machen Eindruck, so dass ich sie als Service-Leistung des Verlags positiv bewerte. Das passt zum modernen Charakter des Abenteuers, denn in der heutigen Zeit ist es das A und O, dass Kaufabenteuer dem Spielleiter so viel Arbeit wie möglich abnehmen.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen: In der Gruft der Königin kommen zwar die Helden ins Schwitzen, nicht aber der Spielleiter, denn dieser erhält bis zum Ende der Handlung gute Vorlesetexte, stimmungsvolle Bilder und konkrete Handlungsanweisungen. Die 68 Seiten des Abenteuerhefts wurden effizient genutzt und hinterlassen keine Leerstellen, welche der Spielleiter mühsam ausfüllen muss. Daher steht einer Bewertung mit 8 von 9 Einhornpunkten nichts im Wege! Chapeau!
Abschließend bitte ich ausdrücklich um Kommentare zum Abenteuer!!! Fasziniert euch „Gefangen in der Gruft“ ebenfalls oder hat meine Begeisterung für Indiana-Jones-Filme meinen Blick getrübt?
Danke für den schönen Beitrag. Mein erster Eindruck deckt sich mit deinem Bericht.
Ich bin sehr gespannt, wie sich diese innovative Abenteuer spielt.
Vielen Dank für den Kommentar.
In meiner DSA-Runde wird es leider schwierig mit dem Abenteuer: Wir haben wechselnde Spielleiter: Ein Kumpel und ich hatten uns das Abenteuer quasi gleichzeitig gekauft, dann gelesen, ohne dass dies alle in der Runde wussten. Nun kennen zwei Leute in derselben Runde das Abenteuer, so dass es wohl nicht ernsthaft gespielt werden kann…
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Das Abenteuer steht auf jeden Fall auf meiner „will ich spielen“ Liste. Leider ist der Rätselfan in unserer Runde gerade öfters verhindert. Aber das Konzept an sich finde ich total spannend und auch sehr am Puls der Zeit. Natürlich ist es durch seine Spezialisierung nicht für jede Runde geeignet, aber solange man weiß was man für sein Geld bekommt finde ich das vollkommen in Ordnung.
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Wir haben das Abenteuer vor kurzem mit mir als SL gespielt und ich schliesse mich der finalen Punktewertung von Sirius an. Aber alleine wegen des herausragenden Dungeon-Teils, der auch für mich den Kern darstellt.
Die Vorgeschichte konnte ich aufgrund der Einbettung in eine Tobrien-Kampagne teilweise abkürzen. Sie ist mit viel Erläuterung und seitenfüllend mit Illustrationen ausgeschmückt, allerdings halte ich diese Informationssuche zum grössten Teil als entbehrlich und ich habe auch nicht bereut das wegzulassen. Um gesellschaftsorientierte Charaktere einzubinden und zu fordern, leite ich im gleichen Zeitraum lieber andere Plots, die nicht darin bestehen sich letztlich als Selbstzweck von Person A zu E, über B, C und D zu hangeln und die am Ende auf die eine oder andere Art auf erfolgreich gedreht werden muss.
Der Dungeon-Teil ist schön mit thematisch passenden Rätseln und einer plausiblen Reihenfolge von Gegnern ersonnen und auch die zugehörigen Illustrationen und Handouts sind ausserordentlich gut gemacht. Das hat zumindest für DSA5 Vorbildcharakter und bekäme von mir für sich genommen damit eine Höchstwertung.