Der Weg nach Drakonia

Gastrezension von Ackerknecht

„Herkommen Leute, Mannschaftsbesprechung. Also, seht Ihr den Zwerg dort drüben? Als erstes rennt unser Krieger hin, gibt ihm einen auf die Moppe, und läuft dann weg. Als zweites rennt unser Dieb dahin, schubst den verletzten Kerl die Stufen runter, und läuft weg. Dann ist unsere Priesterin am Zug. Sie rennt hin, heilt den Kerl, und läuft dann weg. Als letztes hat unser Magier seinen Auftritt: Du wartest, bis sich der wieder zusammengeflickte Angroscho halbwegs berappelt hat, dann lässt Du den Visibli fallen und teleportierst den Bartgrummler irgendwo hin – mir ist ganz egal, wohin – und dann… dann läufst Du weg. Alles klar? So machen wir es!“

– Alrik von Sturmfels, Anführer der garetischen Drakonia-Expedition, Lagebesprechung am Morgen des 22. Phex 1029 BF.

Das Brettspiel Der Weg nach Drakonia ist im Jahr 2005 erschienen und feiert damit dieses Jahr seinen 12. Geburtstag. Die Veröffentlichung ist damals – zumindest in meinem DSA-Umfeld – heiß erwartet worden. Immerhin war es das erste DSA-Brettspiel seit 1993. Entwickelt wurde das Spiel vom Brettspiel-Autor Folker Jung und seinem Unternehmen productspielkonzeption aus Essen. Ich will im Folgenden das Spielkonzept und die Einbindung in den aventurischen Hintergrund besprechen, sowie ein paar Worte zu Rezeption und Kritik verlieren.

Spielkonzept. In der quadratischen Schachtel (deren Gestaltung dem damals aktuellen „Corporate Design“ von DSA4.0 entspricht) finden sich

  • Ein Spielplan, der auf sechs Stationen den Weg von einer nicht weiter beschriebenen „Stadt“ zur Elementarfeste „Drakonia“ beschreibt;
  • 6 „Kulturenkarten“, die neben einem Stimmungstext die Verfügbarkeit der einzelnen Heldentypen in der jeweiligen Farbe / „Fraktion“ auflisten. Die Kulturen sind die Tulamiden (gelb), Garetier (violett) Thorwaler (blau), Zwerge (schwarz), Mohas (rot) und Waldelfen (grün).
  • 72 Pappcounter mit vier Heldentypen (die Spielfiguren, es gibt 12 pro Farbe / „Fraktion“). Die Counter sind beidseitig bedruckt und zeigen das Heldensymbol in unverletztem und „angeschlagenem“ Zustand.
  • 64 „Abenteuerkarten“, welche die Aktionsmöglichkeiten der Helden beschreiben (je 16 pro Heldentyp „Krieger“, Magier“, „Priester“ und „Dieb“).
  • Dazu kommen selbstverständlich noch eine Anleitung und etwas Werbung (in diesem Fall für das DSA4.0-Grundspiel und die so genannte „Spielsteinkampagne“

In seiner vollen Glorie: Der Spielplan zu Der Weg nach Drakonia

In Der Weg nach Drakonia wählt jede Spielerin und jeder Spieler eine der oben genannten Kulturen und versucht, eine Expeditionsgruppe aus diesem Volk als erstes nach Drakonia zu führen. Zur Verfügung steht ein Grundvorrat von 12 Helden, von denen aber nur eine begrenzte Anzahl gleichzeitig auf dem Spielfeld sein darf. Diese Obergrenze wird durch die Teilnehmerzahl vorgeben: Zu zweit sind es maximal sechs Helden, beim Spiel zu fünft oder sechst maximal vier. Die Helden auf dem Spielplan werden mittles Abenteuerkarten bewegt: Jeder Heldentyp kann eine bestimmte Fähigkeit nutzen: Krieger müssen einen auf dem gleichen Feld stehenden Helden (von einer anderen Fraktion oder zur Not sich selbst) verletzten, Diebe einen anderen Charakter ein Feld zurück Richtung Stadt verschieben, und so weiter. Die Abenteuerkarten geben jeweils Bedingungen für das Ausspielen einer Karte und deren Auswirkungen vor. So kann eine Diebeskarte beispielsweise folgendermaßen lauten: „Bewege einen Krieger ein Feld rückwärts, um einen Dieb und einen weiteren beliebigen Charakter ein Feld vor zu bewegen“ – nur, dass diese Informationen in Piktogramme verpackt sind. Das Kartenlimit beträgt vier Karten, am Ende eines Zuges kann (wenn weniger als vier Karten auf der Hand sind) noch eine Karte von einem der vier Abenteuerkartenstapel nachgezogen werden. Zusammengefasst sieht ein Spielzug also so aus: Wer an der Reihe ist, darf

  • einen Helden in der Stadt ins Spiel bringen,
  • die Helden mittels Abenteuerkarten bewegen und
  • zum Schluss ggf. noch eine Abenteuerkarte nachziehen.

 

Eine Abenteuerkarte des Diebes: Schubse einen Priester, um einen Zauberer und einen Kumpel (zur Not dich selber) ein Feld vorzubewegen.

Die Kulturen unterscheiden sich in der Zusammenstellung des Heldenpools. So besteht die garetische Expedition hauptsächlich aus Zauberern und Priestern, während die Zwerge vor allem Krieger und Diebe nach Drakonia schicken. Sobald ein Held Drakonia erreicht hat, endet das Spiel und es wird abgerechnet. Punkte gibt’s abhängig davon, wie weit die eigenen Helden gekommen sind – was bedeutet, dass es nicht unbedingt schlau sein muss, als erstes Drakonia zu erreichen. Die Spieldauer liegt bei 45-60 Minuten, wobei es auch Varianten für kürzere Spiele gibt. Die vollständigen Regeln des Spiels umfassen übrigens vier Druckseiten, sind also sehr übersichtlich.

 

Der „Bottom-Up“-Design-Ansatz des Spiels ist deutlich erkennbar. Hier wurde ein sehr mechanistisch gestalteter Brett-/Kartenspiel-Hybrid genommen, der erst in einem späten Design-Stadium einen DSA-Anstrich erhalten hat. Aber das ist ein Thema, zu dem ich mich später noch äußern werde. Denn von der Spielmechanik ist „Der Weg nach Drakonia“ ein äußerst gelungenes Spiel: Die Regeln sind fair, balanciert und leicht zugänglich. Das Verhältnis zwischen Planung und Kartenglück ist ausgewogen. Die Spieldauer ist zwar etwas lang, aber durch die Möglichkeit, verkürzte Varianten zu spielen, noch im Rahmen. Die unterschiedlichen Heldenpools der einzelnen Kulturen kommen erst beim zweiten oder dritten Spiel richtig zum Tragen, erhöhen dann aber den Wiederspielwert. Eine mögliche Kritik ist aber die Wertigkeit des Materials: Pappcounter als Spielfiguren sind nicht unbedingt das Optimum an Haptik und Haltbarkeit. Das Preis-Leistungsverhältnis war aber damals in Ordnung. Problematisch wird es nur, sich bei Der Weg nach Drakonia das Geschehen auf dem Spielbrett in Aventurien vorzustellen. Das führt zu Gedanken wie der eingangs beschriebenen Szene und bringt mich zum nächsten Kapitel: Der Einbindung in die Spielwelt.

Die aventurische Perspektive. Wir reden hier vom Jahr 2005. Die Borbarad-Kampagne (und damit die Saga um den Lichtvogel) waren durch, aber noch nicht so lange her. Die Drachenchronik lag noch vier Jahre in der Zukunft. Drakonia hat die aventurische Bühne betreten, war aber ein hochgradig mystischer, mysteriöser und vor allem unbekannter Ort. Da ist es nachvollziehbar, dass das Mittelreich eine Expedition entsendet. Denkbar ist das auch für tulamidische Potentaten. Und den Angroschtempel zu Xorlosch. Und vielleicht auch eine Waldelfensippe, die um das Gleichgewicht der Welt besorgt ist. Und, ähm, die Akademie der Hellsicht und den Hetmann zu Thorwal… und die Mohas… okay, das Wettrennen der Erkundungsmissionen ergibt nicht 100%ig Sinn.

Ausgangspunkt vieler Expeditionen und Diskussionen: Welche aventurische Stadt ist hier abgebildet? Außerdem im Bild: Eine elfische Zauberweberin und ein Zwergenkrieger.

Die Expeditionen beginnen in einer „Stadt“. Das Bild dieser Stadt zeigt als prominentes Element ihrer Skyline … eine Stufenpyramide im Dschungel. Okay… vielleicht gab es ja eine Vor-Expedition, und der Weg nach Drakonia beginnt in Kun-Kau-Pe… das würde jetzt für die Mohas hinkommen… aber weniger für die Elfen… oder die Zwerge… das passt alles irgendwie nicht zusammen. Der Weg führt dann aus der Stadt durch einen Sumpf, eine Oase in der Wüste und eine Karawanserei ins Gebirge. Von dort geht es noch durch einen Wald nach Drakonia. Wieso jetzt noch ein Wald? Wie kann es sein, dass Drakonia nicht auf das Gebirge folgt? Zugegebenermaßen kann ich mich noch erinnern, dass kurz vor Drakonia ein fruchtbares Tal liegen soll, aber die Hintergrundkarte des Spielplans sieht irgendwie anders aus. In der verkürzten Varianten fällt übrigens das Gebirge weg… eine Expedition nach Drakonia, bei der das Gebirge umgangen wird… interessant.

Mit der aventurischen Einbindung Drakonias werde ich, wie Ihr seht, also nicht warm. Auch die Stimmungstexte, die die Kulturen vorstellen sollen, sind eher käsig. Dafür sind die Illustrationen, die größtenteils von Zoltan Boros stammen, sehr hochwertig. Sie fühlen sich aber nicht immer aventurisch an. Ein Beispiel: Über der Karte im Hintergrund des Spielfeldes fliegen mehrere Drachen am Himmel. Für Mainstream-Fantasy sicher in Ordnung, aber DSA? Auch der Priester als „Main Healer“ ist ein interessanter Vorgriff auf DSA5-Zeiten. Ich gebe, zu, im Vergleich zur Schlacht der Dinosaurier jammere ich auf höchstem Niveau, aber Details wie diese haben es dem Spiel in meinem Umfeld schwergemacht.

Interessante Rollenverteilung und grundlegende Infos: Drei Kulturenkarten nebeneinander.

Die Rezeption. In meinem Bekanntenkreis hat damals die Ankündigung eines neuen DSA-Brettspiels für einige Aufregung gesorgt. Wir trauerten alle noch DSA3 hinterher, wurden mit der vierten Edition nicht recht warm und hofften auf einen HeroQuest-artigen Dungeoncrawler, nur halt in DSA und gut. Sozusagen die Entschuldigung für das Dorf des Grauens. Wir wären aber von allem außer einem kompletten Descent enttäuscht gewesen. Daher hatte Der Weg nach Drakonia einen äußerst schweren Stand. Und das tat dem Spiel damals unrecht. Denn ist die gewöhnungsbedürftige DSA-Interpretation erst einmal überstanden, dann ist Der Weg nach Drakonia ein sehr gutes, kurzweiliges, strategisches Brettspiel.

Was bleibt also heute? Damals hatte Der Weg nach Drakonia eine UVP von 19,95€. Kurzes Nachsehen auf einem großen Auktionsportal hat ergeben, dass es einige wenige gebrauchte Spiele für unter 20€ zu kaufen gibt. Der Gebrauchtkauf ist aber nicht ohne Risiko – zur Wertigkeit der Spielsteine hatte ich ja eingangs schon etwas gesagt. Es fällt mir schwer, eine Kaufempfehlung auszusprechen: Ihr kriegt hier ein gutes Spiel mit mittelguter DSA-Lackierung. Wer es nicht besitzt, der verpasst jetzt aber keinen Meilenstein des Schwarzen Auges.

Auf der Einhornskala verdient sich das Spiel aber nichtsdestotrotz eine gute Note: Ein Rentier fühlt sich von der DSA-Markenpolitik getäuscht, ein Rentier bemängelt die Qualität der Komponenten. Damit bleiben sieben Rentiere, die sich auf den Weg nach Drakonia machen (was etwas doof ist, da das Spiel auf 2-6 Spielerinnen und Spieler ausgelegt ist).

Nandurion dankt Ackerknecht für die Gastrezension!

Über Nick-Nack

Nick-Nack heißt eigentlich Daniel und spielt seit Ende der 90er Jahre Das Schwarze Auge. Nach einer fast 10-jährigen Rollenspielpause stieg er Anfang 2015 wieder in das Hobby ein und betreibt seitdem unter anderem einen YouTube-Kanal, auf dem er seine Rollenspielrunden zeigt und Tipps und Tricks zum Hobby austauscht.
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1 Antwort zu Der Weg nach Drakonia

  1. Luicatus sagt:

    Ich mag das Spiel immernoch. Ich mag aber auch keine DungeonCrawler

    Der DSA-Anstrich ist für mich völlig ausreichend (also gut) und sogar die Heldenverteilung der Kulturen irgendwie nachvollziehbar.
    Im Zweifel ziehe ich ein gutes Brettspielt mit einer moderaten Hintergrundseinbettung, einem reinen Fluff-Spiel mit bescheidener Spielmechanik vor. Daher war für mich der DSA-Anstrich immer ein willkommener Bonus.

    Mechanisch muss ich aber sagen, gibt es eine kleine Schwäche, die manchmal sehr ausgenutzt wird, wenn die Krieger der Mitspieler grundsätzlich die anderen Heiler verletzten. Damit kann man bestimmte Spielertypen das Spiel sehr madig machen.

    Dennoch mag ich das Spiel, und das Stellungsrätsel im AB hat mir damals ja auch einen Myranor-Band als Preis beschert. Danke für die Nostalgie, ich werde es mal wieder auspacken.

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