Vor zehn Monaten stellte Einhorn Curima in meiner Rezension zu „Rache ist Stockfisch“ folgende Frage zum damaligen Stand der Heldenwerk-Reihe: „Vielleicht müssen sich die Autoren auf dieses neue Konzept von Superkurzabenteuer erst noch eingrooven?” Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen: Jawohl, die Operation ist gelungen. Zwar sind die meisten Heldenwerke immer noch gefühlt zwei Seiten zu kurz für den Inhalt. Aber die letzten Abenteuer waren schlimmstenfalls solide mit Ausbaupotenzial („Des Wandelbaren Schicksal“) und bestenfalls super („Die Paligan-Akten“). Weihnachten 2017 versucht die Heldenwerk-Redaktion den nächsten großen Schritt. Gekreuzte Klingen ist der Auftakt zu einer mehrteiligen Kampagne, bei der Ulisses mittels einer Umfrage den Ausgang des ersten Szenarios in der Fortsetzung wie auch im aventurischen Metaplot berücksichtigen will. Das Heldenwerk von Torben Stretz ist ein Abenteuer für erfahrene bis kompetente Helden von mittlerer Komplexität für die Spieler und hoher Komplexität für den Meister. Anforderungen an die Helden sind neben Kampfkraft und gewisser Wildniserfahrung vor allem Wahrhaftigkeit und eine Zuneigung zur Rondrakirche. Das Abenteuer spielt in der „Gerondrata“, der liebfeldischen Region um Arivor nach Zerstörung der Stadt im Sternenfall – also am Puls des Metaplots.
Das Einhorn warnt: Ende der spoilerfreien Zone!
Gekreuzte Klingen hat zwei Handlungsebenen. Zum einen ist da die Rahmenhandlung im Metaplot, zum anderen die konkrete Handlung für die teilnehmenden Helden. Die erste versuche ich ganz kurz zusammenzufassen, der anderen gebe ich etwas mehr Raum.
Die Rahmenhandlung geht nämlich stark auf den Metaplot im Horasreich ein, gräbt tief in der rondrianischen Kirchengeschichte und betreibt nicht zuletzt ein ganz anschauliches „Namedropping“ horasischer und rondrianischer Meisterpersonen. Der Erzherrscher Ancuiras Alfaran vereint, wie es in der Gerondrata üblich ist, die weltliche Herrschaft und die Hohepriesterschaft der Rondra in einer Person. Da der altreichische Meister des Bundes, Romur, politische Neutralität anstrebt, will er Ancuiras aus der Gerondrata abziehen und zum Verzicht auf weltliche Ämter bewegen. Ancuiras, der zwischen Gehorsam gegenüber seinen Kirchenoberen und Verantwortung für seine Erzherrschaft hin- und hergerissen ist, wird durch die Spieler und ein altes Artefakt, den sagenumwobenen Speer Gerons des Einhändigen, maßgeblich in seiner Entscheidung beeinflusst.
Konkret werden die Spieler folgendermaßen in diese Geschehnisse hineingezogen: Zum Auftakt des Abenteuers werden die Helden Zeugen eines Gefangenenausbruchs. In der Ortschaft Westfar sollen drei „Pirscher“ (Plünderer in den Ruinen Arivors) hingerichtet werden, da diese Schwarzhandel mit gestohlenen Reliquien betreiben. Es kommt zu einem Ausbruchsversuch, bei dem trotz Eingreifen der Helden die Anführerin Rumira entkommen kann. Der örtliche Herrscher, Baron Domaldo, bittet daraufhin die Helden, der anscheinend überregional agierenden Bande von Devotionalienhehlern nachzugehen. Die Spur dieser Bande führt die Helden zum zweiten Teil der Handlung.
Der zweite Akt des Abenteuers spielt in der Stadt Sorbik. Hier sollte das wichtigste der gestohlenen Artefakte, der bereits erwähnte Speer Gerons, eigentlich aufbewahrt sein. Allerdings hat der Söldnerführer Travian di Faffarallo das durch die Zerstörung Arivors entstandene Machtvakuum durch Besetzung der Stadt mit seiner Truppe ausgefüllt. Die Bewohner haben sich mit diesen Besatzern überraschend gut arrangiert: Die illegale Besetzung ist ein deutlicher sicherer Status als die Anarchie nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung. Jetzt tritt aber der Erzherrscher Ancuiras auf den Plan: Auch er will das Unwesen des Reliquienhandels (dessen Ursprung er zu Recht in Sorbig vermutet) unterbinden und belagert die Stadt. Daneben hat er auch eine persönliche Motivation, da Travian für den Tod seiner Frau verantwortlich ist. Die Helden sind nun unter Zeitdruck. Idealerweise können sie den Hehlerring (der Reliquien nicht nur stiehlt und verkauft, sondern auch fälscht) aufdecken und die Hinterleute in ihr Hauptquartier im Ranafandelwald verfolgen. Hier findet dann das Finale statt.
Im letzten Akt kommt es zur neuerlichen Auseinandersetzung mit Rumina, die nach dem Untergang Arivors den Glauben an Rondra verloren hat. In der finalen Auseinandersetzung offenbart Gerons Speer seine wahre Bedeutung. Wenn im Endkampf bestimmte Dinge eintreten, dann verkündet das Artefakt eine Botschaft an die Erzherrscher der Gerondrata: Weltliche Macht und geistliche Führung sollten nicht in einer Hand vereint sein. Wie die Helden mit dieser Botschaft umgehen und wem sie das Artefakt aushändigen (Ancuiras, Travian oder Domaldo) ist den Spielern überlassen und Bestandteil der Umfrage, mit der Ulisses über den Fortgang der Kampagne entscheidet.
Das Abenteuer Gekreuzte Klingen ist schwierig. Es ist, im Gegensatz zu den bisherigen Heldenwerken, kein Abenteuer für einen Spielabend zwischendurch. Meister und Spieler sollten ein großes Interesse am Horasreich, der Rondrakirche und dem aktuellen Metaplot haben, sonst hat man eher wenig Spaß an dem Abenteuer. Neben einem profunden Hintergrundwissen benötigt das Abenteuer noch einiges an Vorbereitungsaufwand und vielleicht ein paar handwerkliche Korrekturen. Zum Beispiel ist der Auftakt sehr anfällig für Plotzusammenstöße mit Spielern: Die Helden sollen beim Gefangenenausbrauch eingreifen, gleichzeitig muss die Pirscherin Rumina aber entkommen, da sie im Finale noch gebraucht wird – sowas kann eigentlich nur schief gehen (aber das Abenteur gibt hier Alternativen an, die Spielerfrust verhindern können). Ansonsten liefern die beschriebenen Szenen ein gutes Grundgerüst, können aber noch ausgebaut werden. Vorbereitungsaufwand gibt es auch mal wieder bei meinem Lieblingsthema im Heldenwerk: Den Karten. Der Plan des verfallenen Tempels, in dem das Finale stattfindet, ist ein Highlight, nicht nur dieses Heldenwerks, sondern allgemein: vollfarbig und mit einer halben Seite ausreichend groß – sehr gelungen! Dafür ist die Übersichtskarte der Region winzig klein und schwer zu entziffern. Ansonsten solltet Ihr zur Vorbereitung die Google-Bildersuche anwerfen. Folgende Karten sind für das Abenteuer extrem hilfreich:
- Eine generische Fantasy-Kleinstadt an einem Fluss;
- Ein Übersichtsplan einer historischen Wassermühle und
- Eventuell noch ein Plan eines mittelalterlichen Marktplatzes.
Davon abgesehen hat das Abenteuer ein paar echt starke Aspekte. Hauptanliegen des Szenarios ist es, die Stimmung in der Gerondrata nach dem Untergang Arivors zu vermitteln. Und das gelingt echt gut! Die Gerondrata ist mehr als eine „Wildermark 2.0“. Hier ist eine Region, die sich immer als Herzland der Rondrakirche gesehen hat, und die nun offenbar den Segen ihrer Schutzgöttin verloren hat. Die Verzweiflung der Menschen wird, vor allem durch die Pirscherin Rumina, glaubwürdig vermittelt. Die vom Abenteuer geforderte „Wahrheitsliebe und Tugendhaftigkeit“ der Helden wird auf eine harte Probe gestellt. Die tragische Stimmung wird dicht dargestellt und dürfte, mit etwas Vorbereitung und guter Spielleitung, die Spieler am Tisch tief bewegen.
Die Umfrage zum Abenteuer, die am 7. Dezember online gegangen ist, stellt nur eine Frage: Wem übergeben die Helden die Speerspitze (oder behalten sie sie für sich selbst)? Die Entscheidung der Helden beeinflusst Ancuiras in seiner Wahl zwischen Erzherrschaft oder Rondrakirche. Ancuiras Entscheidung legt wiederum die Ausgangslage für „Tage der Leuin II“ fest. Die Abstimmung läuft noch bis zum 21. Dezember.
Ich persönlich finde die Umfrage etwas schwach. Ich hätte erwartet, dass sich Ulisses noch nach weiteren Aspekten des Abenteuers erkundigt, z. B. den Umgang der Helden mit Rumina und den Pirschern. Mich würde außerdem interessieren, wie Ihr damit umgehen würdet, wenn Eure Helden den Speer Domaldo übergeben haben, die Umfrage aber Ancuiras als neuen Besitzer festlegt…
Das Einhorn verkündet: Ende des Spoiler-Bereichs
Gekreuzte Klingen ist ein Heldenwerk von Bedeutung für den altreichischen Metaplot und die Rondrakirche, welches mit erheblichem Vorbereitungsaufwand verbunden ist. Mit einer Bewertung tue ich mir schwer, daher frage ich diese drei geisterhaften Gestalten dort drüben. Zuerst den jungen Mann mit dem Megadeth-Kapuzenpulli und dem hüftlangen Pferdeschwanz…
Geisterknecht der vergangenen Weihnacht: „Das Abenteuer ist voll super! Gerade wenn man, so wie ich, voll am Puls der lebendigen Geschichte spielt, die Biografie der Meisterpersonen des mittleren Managements kennt und richtig Bock und Zeit hat, ein Abenteuer gut vorzubereiten. Sieben von neun Rentieren“!
Hm, ja, okay… Was sagt der Enddreißiger mit dem violetten Freizeithemd und der hohen Stirn dazu?
Geisterknecht der gegenwärtigen Weihnacht: „Erstens heißt die Farbe Brombeere. Zweitens sehe ich das mit dem Abenteuer komplett anders. Das Szenario hat unbestritten ein paar sehr starke Stellen, versagt aber als ‚Heldenwerk‘ komplett. Ich will so etwas aus der Post nehmen, durchlesen und losspielen! Es hat doch keiner Zeit, erst noch die Historie des Bundes ‚Altes Land‘ auswendig zu lernen und ewig Schauplätze und Unter-Szenarien vorzubereiten. Und dann soll das Abenteuer erst einmal nur die Stimmung für kommende Dinge vorbereiten… Neenee, höchstens drei von neun Rentieren.“
Oha… das ist ja eine ganz andere Meinung… Fragen wir doch noch den alten Glatzkopf dort drüben, den mit dem Tweed-Sakko und der geschmacklosen Krawatte.
Geisterknecht der zukünftigen Weihnacht: „Nunja. Die Tage der Leuin-Kampagne wird sich als interessantes Experiment im Rahmen der Heldenwerk-Serie herausstellen. Man muss halt einsehen, dass man es hier nicht mit einem One-Shot-Dungeon-Crawl-Heldenwerk, sondern mit dem Auftakt einer Kampagne zu tun hat. Daher schlage ich als Kompromiss fünf von neun Rentieren vor.“
Als Rezensent schließe ich mich dem Vorschlag des alten Knackers an. Auch wenn er mich an irgendwen unangenehmes erinnert. Hm.
Ich wünsche Euch eine schöne Adventszeit!
Nandurion dankt Ackerknecht für die Gastrezension und Ulisses-Spiele GmbH für das Rezensionsexemplar!
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Danke für die aufschlussreiche Rezension.
Jetzt hab‘ ich endlich auch mal verstanden, worauf es im dem Szenario überhaupt ankommt.
Beim Lesen des selbigen hatte ich keinen Überblick. Ich fand es sehr verworren.
Man sollte mal für zukünftige Heldenwerke überlegen, ob man den roten Faden mit den wirklich wichtigen Punkten etwas einfacher vorab formulieren könnte.
Ja.
Ich habe beim Rezensieren auch lange gebraucht, bis ich die Kernhandlung isoliert hatte. Die Einleitung zum Abenteuer ist da auch nicht hilfreich, da sie einen erst einmal mit 1,5 Seiten Hintergrund zum Horasreich, zur Gerondrata und zum Artefakt erschlägt.