Wir haben den ersten Band des Aventurischen Herbariums auf 160 Seiten vorliegen. Die Pflanzen sind dabei so über die zwei Bände verteilt, dass die Rezepte im ersten Teil nur die Pflanzen aus diesem Band benötigen. Die Redaktion des Bandes leitete Zoe Adamietz. Alex Spohr ist mir ihr zusammen für das Regeldesign verantwortlich. Texte steuerten außerdem Christian Nehling, Katja Reinwald und Johannes Kaub bei.
Die zahlreiche farbigen Illustrationen stammen von Lukas Banas, Helge C. Balzer, Steffen Brand, aus dem Spiel Memoria von DAEDALIC Entertainment, von Jens Fiedler, Fífa Finnsdottir, Christof Grobelski, Matthias Kinnigkeit, Nele Klumpe, Christina Kraus, Jennifer S. Lange, Annika Maar, Nandurion-Gründer Ben Maier, Dagmara Matuszak, Giovina Nicolai, Matthias Rothenaicher, Axel Sauerwald, Ulisses Art Director Nadine Schäkel, Wiebke Scholz, Holger Schulz, Elif Siebenpfeiffer, Sebastian Watzlawek, Fabrice Weiß, Rabea Wieneke, Karin Wittig und Maya Wrzosek.
Aus meiner Sicht gewinnt gerade das Herbarium durch die farbigen Illustrationen an Spielwert. Der für DSA5 typische Stil ist weitgehend durchgehalten, meinen Geschmack trifft es jedenfalls.
Zusammenstellung
Im Vorwort erfahren wir von Zoe Adamietz das erklärte Ziel des Herbariums sei es die Pflanzenwelt Aventuriens spielbar zu machen. Als Kapitel benennt sie die charakteristischen Pflanzen (62) Aventuriens, die Rezepte und zuletzt die Alltagspflanzen.
Tatsächlich sind im dritten Kapitel des Inhaltsverzeichnisses die Alltagspflanzen unter anderem in den Beschreibungen der Landschaftstypen enthalten. Zudem sind dort die Regeln zur Kräutersuche, der Haltbarmachung, Alltagsarzneien, die alchimistische Äquivalenzlehre und zur Sucht untergebracht. Angehängt sind Kampftechniken und Dämonisches. Das zweite Kapitel ist in pflanzliche Hilfsmittel (23), Gifte (4) und Rauschmittel (6), sowie alchimistische Elixiere (19), Gifte (5) und Rauschmittel (5) unterteilt, ein ganz spezielles Elixier darunter ist der Alraunige Homunculus (ja, die Alraune mit dem Holzlöffel auf der Band-Rückseite!), dem ein eigenes Unterkapitel gewidmet wurde.
Die Pflanzen im ersten Kapitel nehmen für sich jeweils eine Seite ein, Ihre Vorstellung umfasst eine Illustration, eine in Anteilen variierende Komposition aus Ingame-Texten und Beschreibung, einen Regelkasten und das Wissen unterteilt in drei Qualitätsstufen. Auch wenn die Äquivalenzlehre thematisch weit über das Herbarium bzw. den ersten Band hinausreicht, ist sie hier nicht fehl platziert. Versierte Alchimisten können sie bei den hier vorgestellten Rezepten ebenso schon anwenden.
Texte
Angefangen beim Vorwort fiel mir die durchgehend zutreffende und variantenreiche Wortwahl auf, hin und wieder ein bisschen ausschweifender. Dadurch entsteht beim Lesen der Eindruck einer bunten Vielfalt, die dem Thema der farbreichen aventurischen Pflanzenwelt gerecht wird.
Das Kapitel „Regeln und Tabellen“ beginnt trotz des Namens tatsächlich mit 22 Seiten Fliesstext zu den Landschaftstypen Aventuriens, in denen über 350 Pflanzennennungen vorkommen. Hier merkt man deutlich, dass mit der bereits erwähnten Formulierungsfülle möglichst genau beschrieben wird und recht erfolgreich Wiederholungen von Worten und Wendungen vermieden werden.
Daher gestaltet sich dieser längere Abschnitt glücklicherweise nicht ermüdend beim Lesen. Insbesondere kann sich die Spielleitung hier zu Ausschmückungen und Ideen für Reiseabschnitte je nach Region einlesen. Daher erscheint es mir vertretbar, dass auch irdische Entsprechungen mit eingebaut wurden; damit bekommt man ein kleines Komplettpaket für die Regionen.
Netterweise wurden immer wieder (sprachliche) Verbindungen zu den Göttern und den Kulturen der Elfen, Zwerge, Achaz, Tulamiden und Novadi aufgezeigt sowie die klimatischen Gegebenheiten einschließlich der aventurischen Winde mit ihren Namen berücksichtigt. Aus spielpraktischer Sicht ist noch die Angabe interessant, was wann blüht und welche Früchte zu verzehren sind.
Charakteristische Pflanzen
Die Texte zu den charakteristischen Pflanzen gefielen mir in Summe. Eine höchst amüsante Erscheinung unter den Pflanzen ist der maraskanische Nemezijn, dazu wurde ein Volksmythos in eine Pflanzenbeschreibung übertragen. Bewusst wird wohl für unsere Fantasie offen gelassen, was sich dahinter wirklich verbirgt.
Den Ansatz längere Ingame-Texte einzuflechten, halte ich für richtig und stimmig, zumindest passt die Mischung aus meiner Sicht. Die 32-fache Wiederholung der Zitatquelle „Zwölfmal zwölf Aventheurer – Band XXIII: ‚Im Griff der Todesranke, Pollenstaub der siebten Sphäre oder Was uns der Folianth der Kreutherkunde nicht lehrte‘, Druckerei Stührmann & Mezzani, Grangor, 1041 BF“ finde ich aber dann in der Masse übertrieben, vor allem da jedes Mal volle vier Zeilen herhalten müssen.
Gerüchte hätte ich statt in den Regelkasten oder Qualitätsstufenangaben in den Fließtext gepackt. Die stets auftauchende Zeile, welche Wirkung die verarbeitete Pflanze hat, verweist entweder auf die Rezepte oder besagt, dass es noch keine solchen gibt. Man könnte sie verlustfrei streichen. Die farbigen Symbole zur Kategorisierung der Pflanzen sind schön und passend geraten, liefern aber aus der Rückschau dann doch keinen Mehrwert für mich.
Folgende Fragen bleiben nach der Lektüre bei mir offen: Gibt es eine regeltechnische Auswirkung der namenlosen Variante beim Fünffingerkraut? Beim Höllenkraut ist unklar, wieso gekaute Ranken als Gift ausgespien werden können, der Verzehr an sich eklig, aber nicht giftig ist. Würde in einem ‘Folianth der Kreuterkunde’ eine romanhafte Erzählung aus Ich-Perspektive mit Gedankenmonologen wie zum Jacopo-Kraut stehen? Wohl kaum. Nützliche Wirkungen von Kajubo wie beim Bogenschießen sind nicht regeltechnisch erfasst. Bei der Krakenseerose ist zumindest in diesem Band unklar, für welche Gebräue sie laut QS3-Angabe verwendet wird. Vermutlich hat es keinen Grund, warum im Ingame-Text zur Roten Pfeilblüte die Teile getrennt getrocknet wurden. Ist die Steinrinde so mysteriös, dass es nur Gerüchte um Rezepte, aber keine bekannten gibt? Wie wäre es mit einer Immunitäts-Regel gegen die Schärfe der Yagannuss?
Regeln
Die Herstellung der Rezepte erfolgt mit einer Pflanzenkunde- bzw. Alchimieprobe, wie im GRW beschrieben. Daran wurde nichts verändert. Das Herbarium erweitert die Regeln zur Pflanzensuche, die Fokusregel erster Stufe teilt in die Suche nach einer bestimmten Pflanze und Suchen nach Pflanzen allgemein ein, die zweite Stufe erweitert lediglich die Erleichterungen bzw. Erschwernisse nach Landschaftstyp um jene für Regionen. Es gibt keine Gruppensammelprobe für die Pflanzensuche. In meiner Runde haben wir die Fokusregel erster Stufe bereits verwendet, konkret wurde mit hoher Dringlichkeit nach der Lykanthropie-Heilpflanze Roter Drachenschlund gesucht. Sie ist im Aventurischen Bestiarium 2 beschrieben, daher vermute ich, dass wir sie im zweiten Herbariumsband noch sehen könnten. Je nach dramaturgischem Schwerpunkt und Ausrichtung von Charakterfähigkeiten halte ich die Suchregeln für sinnvoll einsetzbar; die Wertebereiche und Zeiträume erscheinen plausibel.
Die Regeln zur Haltbarmachung sind geradezu wortwörtlich sehr kleinteilig. Die Zeiträume, die ein Pflanzenteil seine Wirkung behält, reichen von einem halben Tag bis zu mehreren Jahren. Dementsprechend gibt es verschiedene profane und übernatürliche Methoden diese Zeiträume zu vergrößern, wobei gleichfalls Kombinationen möglich sind. Ich war positiv überrascht, dass so viele Zaubertraditionen in unterschiedlicher Weise hierbei vertreten sind. Ein hilfreicher Tipp ist übrigens das nicht so offensichtliche Wiederbeleben von toten Pflanzen mit dem Balsam Salabunde. Die Haltbarmachung dürfte für sehr spezialisierte Spielercharaktere von Bedeutung sein. Als Spielleitung oder Abenteuerautor kann man sich vielleicht inspirieren lassen, was man z.B. als Beigabe in ein Grab der Al’Hani legen könnte bzw. wie es haltbar gemacht wurde. Die alchimistische Äquivalenzlehre ist darüberhinaus eine allgemein verwendbare Assoziationshilfe für Spielleiter, neu sind für DSA darunter die Hühnergötter (Lochsteine).
Rezepte
Bei den insgesamt 62 Rezepten hat nur das nivesische Rauschmittel Schleieröffner die Frage bei mir aufgeworfen, ob die starke und schwache Wirkung vertauscht sind. Der gewünschte Effekt ist sozusagen der schwächere, wenn also der Schamane der Nebenwirkung auf das Gedächtnis widersteht; dieser Überlegung nach sollte er gemäß dem üblichen Schema als zweites stehen.
Die Herstellung von ein paar Waffen aus Pflanzen gefällt mir ganz gut und entspricht der Absicht des Bandes. So sind die meisten Rezepte und ihr Einsatz im Abenteuer schon in den Texten aus dem ersten Kapitel festgehalten, wie bspw. die Gardistenkeuche.
Der Alraunige Homunculus hat die extra Seiten vollauf verdient. Er ist nicht nur Sympathieträger des Herbariums, das Wesen hat durchaus praktische, wenn auch absonderliche und teilweise witzige Fähigkeiten.
Tabellen
Knapp ein Zehntel des Buchs nehmen Tabellen ein. Die Zuordnung der Alltagspflanzen zu den Landschaftstypen auf fünf Seiten nimmt einem die Arbeit ab, den längeren Fließtext nach den fettgedruckten Pflanzennamen selbst zu sichten. Drei Tabellenseiten zur Verbreitung von charakteristischen Pflanzen auf einer Skala von 1 bis 5 sind passenderweise in die Nähe der Kräutersuchregeln gerückt. Die Zuordnung der Regionen zu den Landschaftstypen ist in den drei Seiten der Modifikatoren für die Suchregel zweiter Fokusregelstufe bereits in übersichtlicherer Form enthalten. Hier hätte man ohne Abstriche beim Inhalt zwei Seiten Platz einsparen können. Pflanzenteile und ihre Haltbarkeit kommen auf knapp einer Seite unter, diese Form wird dem Inhalt gerecht. Den Risiken und Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Pflanzen reichen zwei Seiten Würfeltabellen, mehr sollte es für dieses Randthema nicht sein.
In Ergänzung zur Äquivalenztheorie und einigen alchimistischen Rezepten gibt es auf zwei Seiten Grundzutaten, unter denen über den Band hinaus Substanzen, wie der geheimnisvolle Weiselfuttersaft oder Nitrol (sic!), aufgelistet sind. Anhand der Auflistung der Preise für eine Anwendung eines Alchemikums und Hinzunahme bisheriger Preise, lässt sich übrigens großteils zurückrechnen, welche Gewichts- oder Volumenmenge einer Anwendung in DSA5 entspricht.
Fazit
Das Aventurische Herbarium erreicht das selbstgesteckte Ziel, Pflanzen und ihre Produkte möglichst gut ins Spiel einbinden zu können. Die Aufteilung in zwei Bände behagt mir nicht so sehr, ist aber unter dieser Vorgabe beim ersten Band so gut es eben ging gelungen. Unerwarteterweise gefallen mir ausgerechnet die Beschreibungen der Landschaftstypen am besten; direkt gefolgt von den Texten und Illustrationen zu den charakteristischen Pflanzen. Acht von neun Einhörnern schauen vom Weiden auf aventurischen Kräuterwiesen hoch und wiehern Beifall.
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Vielen Dank für die Rezension!
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Ich muss an dieser Stelle mal hervorheben, wie präzise, differenziert und fair diese Rezension ist. Weiterhin ist es so: Die Rezension hat bei mir Interesse für das Herbarium hervorgerufen, denn Pflanzen sind normalerweise nicht so ganz mein Thema. Besonders gut an dem vorliegenden Titel gefällt mir übrigens der alraunige Homunculus!
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