Gastrezension: Neue Bande & Uralter Zwist

Gastrezension von Thorus84

Der Abenteuerband Neue Bande & Uralter Zwist, aus der Feder von Marco Findeisen, erschien 2016 im Zuge der ersten DSA5-Regionalspielhilfe Die Streitenden Königreiche Nostria & Andergast. Es gehört zu den wenigen Ausnahmen unter den DSA5-Abenteuern, die neben dem Grundregelwerk und dem Aventurischen Almanach auch Kenntnisse der entsprechenden Regionalspielhilfe voraussetzen. Es enthält 48 durchgängig farbige Seiten im mittlerweile vertrauten DSA5-Layout.

Layout und Gestaltung

Hinter dem Spoiler-Einhorn werden wir uns dem Inhalt widmen, zuvor lohnt ein genauerer Blick auf das Abenteuerheft, das mir in der Printausgabe vorliegt und das ich auch bereits spielleiten durfte. Heft ist übrigens die richtige Bezeichnung, denn im Gegensatz zu größeren Hardcoverausgaben, wie beispielsweise von Kampagnen, kommen die DSA5-Abenteuer in Klammerheftung daher. Ärgerlich: Hierdurch sind die Abenteuerhefte im Regal leider nicht voneinander zu unterscheiden, da ein Buchrücken, wie in den Softcoverausgaben der vorangegangenen Editionen fehlt.

Dafür kann sich die Verarbeitung sehen lassen: Die Hochglanzseiten sind eingefasst vom aufwendigen Front- und Backcover in hochwertiger Pappe. Wie mittlerweile üblich, so heben sich Protagonisten, bzw. Illustrationen, wie die Aventurienkarte der Rückseite, als Hochglanz-Relief augen- und fingerfreundlich ab. Das stimmungsvolle Coverbild von Djamila Knopf zeigt uns eine Kampfszene in Joborn; im Hintergrund ist die berühmte Rahjastatue zu sehen, im Vordergrund liegt eine Dame in offensichtlichen Nöten, die den beiden männlichen Kombattanten beim Kämpfen zuschaut. Im patriarchalisch geprägten Andergast dürfte das ausnahmsweise in Ordnung gehen.

Die stimmungsvollen Innenillustrationen und das Layout sind, wie mittlerweile gewohnt, über alle Zweifel erhaben: Besonderheiten sind das Innencover, mit dem Stadtplan von Joborn, sowie die Abbildung und der Lageplan einer Burganlage, auf der Rückseite des Backcovers. Im Praxistest hat sich jedoch noch ein kleiner Nachteil herauskristallisiert: Im Gegensatz zu Abenteuern früherer Editionen findet der meisterliche Bleistift wenig Platz für Notizen und hat zudem arge Probleme, auf dem hübsch bedruckten Papier überhaupt entdeckt zu werden. Wer, so wie der Rezensent, ein Abenteuerheft nicht als heilige Kuh, sondern als schnödes Arbeitsmaterial nutzt, wird um zusätzliche Schmierzettel und Klebemarker nicht herumkommen.

Doch genug von Äußerlichkeiten! Worum geht es in dem Abenteuer? Präsentiert es die Streitenden Königreiche angemessen? Und benötigt die Spielleitung tatsächlich die Regionalspielhilfe, um mit dem Inhalt Spaß zu haben? Antworten auf alle diese Fragen gibt es im Spoilerbereich.

 Ab hier reitet das Spoilereinhorn!

 

Plot und Persönlichkeiten

Thematisch entführt uns Neue Bande & Uralter Zwist in die umstrittene Grenzregion rund um die Stadt Joborn, dem „Zankapfel der Streitenden Königreiche“. Zur Zeit des Abenteuers (ab 1040 BF) befindet sich die Stadt im Hoheitsgebiet des Waldkönigreichs Andergast. Die Helden (und mit ihnen gefühlt die Hälfte aller Bewohner der zankenden Königreiche) hat es zu einer ungewöhnlichen Hochzeit in die Stadt verschlagen: Der Sohn des andergast’schen Hochfreiherrs von Joborn, Gosthelm, der Neffe des Königs, soll mit Noraletha von Eichenschlag, der Tochter einer einflussreichen nostrischen Ritterin, vermählt werden.

Allein die Ankündigung sorgt für Zündstoff und atemlose Spannung in der Region, wird sich doch hohe Prominenz der beiden Königreiche in Joborn einfinden. Tatsächlich können sich die Helden auf ein Stelldichein mit König Wendelmir VI. Zornbold von Andergast auf der einen – und dem Prinzgemahl der nostrischen Königin, Waldgraf Eilert II. Rheideryan von Mirdin, auf der anderen Seite freuen.

Natürlich kann eine solch explosive Gemengelage kaum gut ausgehen und so braucht es nur einen Funken, um eine Welle von Ereignissen auszulösen, die die Hochzeit zum Platzen bringen und Joborn in ein Schlachtfeld verwandeln soll. An den Helden ist es zunächst, das legendäre Liebeslicht von Joborn zu entzünden und ein Rahjawunder über die Streithähne zu bringen, auf dass das Schlimmste verhindert werden kann. Doch kaum beruhigt sich die Lage, stellen die aufgebrachten Hochzeitsgäste fest, dass die Braut entführt wurde! Den Helden obliegt es nun, in einer hochbrisanten und abenteuerlichen Mission, die Braut zu retten und die beiden Königreiche vor einem erneuten Krieg zu bewahren.

Was sich hier bereits liest wie ein für sich schon recht spannendes Szenario, ist lediglich der Einstieg in ein Abenteuer, das die Detektive, Kämpfer, Diplomaten und Wildnisläufer unter den Helden gleichermaßen fordert. Auf ihrem Weg begegnen sie zahlreichen neuen Freunden und Helfern, wie dem völlig überzeichneten aber hochsympathischen Flößer und Frauenschwarm Ulward Dreubner, den landestypischen Druiden und Hexen, sowie der Top-Prominenz beider Königreiche, die tatsächlich erinnerungswürdige Charaktere abgeben.

Schön und überflüssig: Nymphomanische Nymphen. (Bild von Annika Maar)

Das Abenteuer führt die Helden flussabwärts über den Ingval, hinein ins tiefste Nostria. Auf dem Weg erleben sie einige Nebenhandlungen, die von den Entführern in Gang gesetzt wurden, so dass die Helden nicht selten hinter ihnen aufräumen müssen. Nicht immer ist das ganz gelungen, wobei ein Hauptproblem darin besteht, dass die mehrtägige Verfolgungsjagd stark an Rasanz einbüßt. So werden die Helden einmal rund zwanzig Meilen zu Fuß ins Waldesinnere geschickt, um Wasser aus einem verwunschenen See zu holen, mit dem sich ein geschändeter Altar reinigen lässt. Hierbei muss obendrein eine einsame und nymphomanische Nymphe durch Ablenkung ausgetrickst oder mittels Sex befriedigt werden (!), bevor sie die Helden an ihr Wasser lässt. Um es noch absurder zu machen, behält dieses Wasser seine Heilkraft nur dann, wenn es in einer speziellen, recht flachen und offenen Schale transportiert wird. Auf dem Rückweg wurden durch den Autor zahlreiche Stolpersteine eingebaut: Rauschende Bäche, angreifende Wildtiere oder ein plötzliches Gewitter. Zwanzig Meilen können somit recht lang werden. Und wenn dann auch noch „rollige Rempelkäfer“ auftauchen, die normalerweise in Aranien oder im Orkland beheimatet sind (aber für das vorliegende Abenteuer geeignet erschienen, um die Wasserschalenträger als mutmaßliche Konkurrenten beim Paarungsritual anzurempeln) wird es völlig albern und ärgerlich. Dieser Abschnitt markiert den uninspirierten Tiefpunkt des ansonsten sehr flotten Abenteuers und diente wohl der Vorgabe, „noch was mit Druiden“ einbauen zu müssen. Als Spielleiter würde ich empfehlen die Quelle näher am geschändeten Altar zu platzieren oder außerhalb des Abenteuers aufzugreifen. Denn obwohl der Abschnitt im Kontext des Abenteuers aufgesetzt wirkt, lässt sich die zwar alberne, aber stellenweise auch launige Episode in einer humorigen Runde durchaus verwenden.

Ein weiteres, deutlich atmosphärischeres Nebenabenteuer bringt die Helden auf die Spur von Vogelfängern und eines freundlichen Hexenzirkels. Auch hier der Verdacht, wonach „noch was mit Hexen“ eingebaut werden musste, doch fügt sich dieser Abschnitt harmonischer in die Haupthandlung. Schließlich findet die Schurkenjagd einen vorläufigen Höhepunkt beim Turm der mit dem Erzbösewicht des Abenteuers verbündeten Hexe. Auch hier nimmt das Abenteuer wieder Anleihen an klassischen Heldenmärchen, bei dem die entführte Prinzessin aus einem Turm befreit werden muss. Glücklicherweise gelingt es Marco Findeisen, diverse Plottwists und Überraschungen einzubauen, um den weiteren Ablauf nicht allzu vorhersehbar zu gestalten.

Das Finale findet schließlich in Nordvest statt, wo sich der Schurke inmitten des nostrischen Hauptheeres unter Kommando der Fürstedlen Rondriane von Sappenstiel sicher fühlt. Erneut ist es an den Helden, einen diplomatischen Eklat zu verhindern und die Verschwörung des Antagonisten, Ritter Rodegrimm vom Blutbuchenforst, aufzudecken, dessen Sohn ursprünglich Noraletha versprochen war. Je nach Stand und diplomatischen Geschick der Helden kann das Finale des Abenteuers einer Auslieferungsverhandlung ähneln, einer Schleichmission durch eine nostrische Burg oder in einem wüsten Dungeoncrawl durch ebendiese enden.

Ebenfalls anzumerken ist, dass das Schicksal der Brautleute sowie der meisten Hauptfiguren (mit Ausnahme der Prominenz aus beiden Reichen) allein in den Händen der Heldengruppe liegt und der Spielleitung unzählige Tipps offeriert werden, welche Wendungen und Entscheidungen möglich oder zu erwarten sind. So sind viele Teile des ansonsten geradlinigen Plots flexibel genug, um von einer erfahrenen Spielleitung an die Bedürfnisse der eigenen Runde angepasst zu werden.

Die meiste Zeit des Abenteuers verbringen die Helden auf einem Floß. (Bild von Annika Maar)

Kritischer ist zu sehen, dass das Abenteuer über die eigene Geschwindigkeit stolpert: Die Verfolgungsjagd wird immer wieder durch längere Ereignisse am Wegesrand aufgehalten. Konsequenzen hat dies zudem keine. Ob die Helden durchstürmen oder in geruhsamer Bedächtigkeit der Spur folgen ist egal; das nächste Ereignis wird stets nur dann ausgelöst, wenn die Helden den vorgesehenen Ort des Geschehens erreichen. Hier wäre eine Handlungsübersicht sämtlicher NSCs, inklusive konkreter Wochentage, nützlich gewesen. So hätte berücksichtigt werden müssen, welche Ereignisse wann (oder überhaupt) eintreten, sollten die Helden schneller oder langsamer vorankommen. Es gibt lediglich eine Stelle im Abenteuer, bei der die Geschwindigkeit der Heldengruppe von Belang ist. Und hierbei wird lediglich berücksichtigt, wie viele Anläufe für eine Sammelprobe erforderlich waren, um eine bestimmte Hürde zu nehmen. Über weite Strecken verläuft das Abenteuer wie auf Schienen, ist aber nie so eingängig und übersichtlich, dass auch unerfahrene Spielleitungen davon profitieren könnten.

Zur Verwendbarkeit ohne Bezug zur Regionalspielhilfe

Der Plot gestaltet sich zwar insgesamt eher unspektakulär, hält aber den Anforderungen eines Begleitbandes angemessen stand: Die Helden bekommen tiefe Einblicke in die Streitenden Königreiche, besuchen zahlreiche interessante Orte und treffen die wichtigsten Persönlichkeiten in den Landen. Besonders erwähnenswert ist, dass es dem Autor gelingt die Stimmung nach dem Grenzübertritt leicht umschwenken zu lassen, so dass sich beide Reiche tatsächlich unterschiedlich anfühlen. Zumeist liebevoll ausgearbeitete Meisterpersonen runden das gelungene Abenteuer ab. Die Regionalspielhilfe (RSH) und das Abenteuer ergänzen sich wirklich prima.

Tatsächlich ist die Kenntnis der RSH keineswegs zwingend erforderlich; lediglich einige prominente Meisterpersonen (u.a. Rondriane von Sappenstiel oder König Wendelmir) haben Seitenverweise auf die RSH erhalten und wurden nur mit knappen Beschreibungen bedacht. Alle anderen Orte, Protagonisten und Antagonisten sind sehr gut ausformuliert und letztere in ihrer Motivation auch gut erklärt. Die Personen und Ereignisse liefern zudem eine gute Grundlage für weiteres, freies Rollenspiel in den Streitenden Königreichen; insofern kann Neue Bande & Uralter Zwist auch als Auftakt für eine ganze Kampagne in Nostergast dienen. Das Abenteuer ist auch nicht auf eines der beiden Reiche fixiert, so dass bei Anschlussabenteuern keine weitergehenden Optionen verbaut werden.

Nicht zu Ende gedacht wurde allerdings ein mögliches Scheitern der Mission. Für den Fall, dass es den Helden nicht gelänge, die Verschwörung des Ritters Rodegrimm zu vereiteln, gibt es keinerlei Hinweise im Abenteuer, obwohl nicht weniger als ein erneuter Krieg die Folge wäre.

ENDE DES SPOILER-BEREICHS

Fazit

Optisch ist Neue Bande & Uralter Zwist ein weiterer Leckerbissen aus der hochwertigen DSA5-Reihe, doch Klammerheftung und eher unerfreuliche Eigenschaften bei der Verwendung als Arbeitsheft lassen ein Einhorn trotz des wundervollen optischen Gesamteindrucks straucheln. Ein weiteres Einhorn hat sich während einer völlig unsinnigen Nebenqueste in den Wäldern verirrt. Fast alle anderen Einhörner sind sich einig, dass sowohl der Plot und die eindimensionalen Antagonisten zwar keine Offenbarung sind, aber ihren Zweck als abwechslungsreiche und abenteuerliche Reise durch die Streitenden Königreiche mehr als erfüllen. Lediglich ein Einhorn ist anderer Meinung, bemängelt das Railroading im Mittelteil und hätte sich zudem über weitere modulare Ereignisse und Handlungsmöglichkeiten wie zum stimmungsvollen Beginn und am offenen Ende des Abenteuers gefreut.

Es verbleiben 6 von 9 Einhörnern, die ganz sicher sind, dass echte Nostergast-Fans um dieses Abenteuer nicht herum kommen werden.

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Nandurion dankt Ulisses-Spiele GmbH für das Rezensionsexemplar!

Über den Gastrezensenten:

Thorus84 hört auf den Namen Raphael Brack und schreibt für Rakshazar und HeXXen 1733. Seit 2015 bloggt er als „Der Riesländer“.

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3 Antworten zu Gastrezension: Neue Bande & Uralter Zwist

  1. Fred Ericson sagt:

    Schöner Einstand mit einer kurzweiligen Rezension, die mir das Abenteuer wieder in Erinnerung gebracht hat. Finde deine Kritik sehr ausgewogen und gut nachvollziehbar.
    Bei uns waren die Helden übrigens so schnell, dass Rodegrimm es gar nicht erst nach Nordvest geschafft hat, sondern am Turm seine Reise über das Nirgendmeer antreten musste.
    Ulward Dreubner, bei uns ein Hybrid aus Chuck Norris, Lothar Matthäus und Tigger, ist bei den Spielern (und ihren Helden) so beliebt gewesen, dass er in einem kommenden Abenteuer wieder auftauchen wird.

    So long, freue mich auf die nächste Rezension!

  2. Engor sagt:

    Kann mich da anschließen, gute Rezension, bei der ich sowohl das Lob als auch die Kritikpunkte vollkommen teile.
    Eine Ausnahme muss ich aber machen: Ich finde nicht, dass man dem Abenteuer für die Klammerbindung einen Punkt abziehen sollte. Das ist eine Designentscheidung, zu der man stehen kann, wie man will (Ich bin da auch kein Fan von), aber ich finde es schwierig, das jetzt einem bestimmten Abenteuer anzukreiden. Dann müsste man ja konsequent jedem Abenteuer mit dieser Bindung einen Punkt abziehen bzw. müsste das ja eigentlich heißen, dass die PDF-Variante eine bessere Bewertung bekommen müsste. Ich bin da der Meinung, dass man in der Bewertung die inhaltliche Qualität heranziehen sollte, außer ein ganz bestimmtes Abenteuer hat einen speziellen Mangel in der Machart.
    Viele Grüße
    Engor

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