Gastrezension von Ackerknecht
Da ist es also, das neue Heldenwerk. Der im Titel genannte Familienname verspricht auf jeden Fall schon einmal Glanz, Glorie und ganz große aventurische Politik. Ist dies vielleicht das großartige Heldenwerk, das alles richtig macht, auf das ich schon so lange gewartet habe? Um der abschließenden Bewertung vorzugreifen: Ja, die Paligan-Akten machen fast alles richtig. Es ist neben Kibakadabra der beste Band der Heldenwerk-Reihe. Trotzdem gebe ich ihm nur sieben von neun möglichen Einhörnern. Und das nicht weil, Achtung Spoiler, möglicherweise ein kleines Hündchen brutal zu Tode kommen kann.
Die Paligan-Akten sind laut Klappentext unter dem Genre „Schatzjagd und Spionageabenteuer“ abgelegt. Die Komplexität soll für Spieler wie Leitung auf mittlerem Niveau liegen, die Helden sollten erfahren bis kompetent sein. Loyalität zum Mittelreich ist (neben einem gewissen „Rogue“-Faktor) eine wichtige Anforderung an die Spielercharaktere. Zeitlich und örtlich spielt sich das Szenario kurz nach dem Helme-Haffax-Erzählstrang der Splitterdämmerung in Perricum.
Das Einhorn warnt: Ende der spoilerfreien Zone!
Der Plot in Kürze
Rimiona Paligan, Gräfin von Perricum, Schwester von Kaiserin Alara und Großmutter von Kaiseringemahl Rondrigan, ist in den Kämpfen um Perricum unerwartet zu Tode gekommen. In den fünf Jahrzehnten davor hat sie eifrig kleinere und große Geheimnisse des mittelreichischen Adels gesammelt. Man geht im Reich fehlerhafterweise davon aus, dass Rimiona diese Geheimnisse mit in ihr Grab genommen hat. Dem ist aber nicht so: Ihr Leibdiener Dalman Turmen hat dem aufstrebendem Beamten Egtor von Ibenburg eine Niederschrift dieser Geheimnisse, die namensgebenden Paligan-Akten, zum Kauf angeboten. Die Helden sollen diese Niederschrift nun im Auftrag Egtors sicherstellen. Nachdem die Helden Dalman in Perricum kontaktiert haben gilt es dann, die Akten aus Rimionas Sommerdomizil, dem Landgut Marschenhof zu entwenden und Egtor zu übergeben – natürlich, bevor die Akten konkurrierenden Fraktionen in die Hände fallen.
Das Abenteuer besteht knapp zu Hälfte aus Hintergrundinfos, der Suche nach Dalman und der Vorbereitung des Einbruchs in Marschenhof. Die zweite Hälfte besteht aus einer detaillierten Beschreibung des Landguts und möglicher Verwicklungen bei Einbruch und Diebstahl der Papiere.
Der Auftakt
Die Anwerbung der Spielercharaktere ist genauso knapp wie konventionell gehalten. Egtor von Ibenburg, der am Anfang einer vielversprechenden Karriere in der Reichskanzlei steht, wirbt die Helden als klassische „Spezialagenten für delikate Aufgaben zum Wohl des Reiches“ an und schickt sie mit den grundlegenden Hintergrundinfos über ihre Zielperson (Dalman Turmen) nach Perricum. Der Handel mit Egtor stellt ein DSA-typisches Dilemma und damit eine kleine rollenspielerische Herausforderung für den Meister dar: Wie oben kurz angedeutet sucht Egtor Helden, die einerseits reichstreu genug sind, um höchst staatsgefährdende Unterlagen zu bergen, aber andererseits auch bereit sind, auf der „dunkelgrauen“ Seite von Recht und Gesetz zu agieren. Unter einem simulationistischen Gesichtspunkt ist das schwierig, aber für Rollenspiele allgemein (und DSA sowieso) nichts, was man nicht schon gesehen hätte …
In Perricum angekommen werden sie höchstwahrscheinlich mit dem ersten Widersacher zusammentreffen: Der mittelreichische See-Offizier Sinold von Sturmfels hat Dalman entführt, da er unter den Paligan-Akten ein Dokument vermutet, welches seinen Leumund empfindlich schädigen könnte. Die Befreiung Dalmans ist sehr schön offen angelegt: Die Helden können Sinold an dieser Stelle vorerst besiegen – damit steht er dem Meister weiterhin als möglicher Gegner zur Verfügung. Die Spielercharaktere können ihn aber auch als Verbündeten für das weitere Abenteuer gewinnen, wenn sie die unterschiedliche Interessenlage bemerken, denn er ist nur an den Papieren, die seine Person betreffen, interessiert.
Von Dalman erfahren die Helden, dass ein Schlüssel notwendig ist, um an die Akten zu gelangen. Dieser Schlüssel ist aber verloren gegangen: Er befindet sich am Halsband von Rimionas Schoßhündchen Tarquinio, das leider entlaufen ist. Die Helden treten jetzt in einen Wettkampf mit der zweiten Gegenfraktion: Altkaiserin Alara Paligan weiß, dass die Paligan-Akten ihrer sowieso schon geschwächten Position im Reich schaden dürften und hat daher ihre Agentin Ishara Cavazaro auf die Sache angesetzt. Jetzt gilt es, das Hündchen (das mittlerweile von der Patriziertochter Trautlinde Falswegen adoptiert wurde) vor der Konkurrentin zu finden – denn ein Scheitern würde nicht nur den finalen Akt des Dokumentenklaus erschweren, es hätte auch fatale Folgen für das Tier …
Die Befreiung und die Verfolgungsjagd sind für ein Heldenwerk (und ich glaube für DSA-Verhältnisse allgemein) sehr offen und dynamisch angelegt. Obwohl das Ziel sehr klar bestimmt ist, gibt es für beide Szenen mehrere mögliche Enden, die vom Verhalten der Helden und dem Würfelglück der Spieler abhängig die Ausgangssituation für das Finale festlegen. Nachdem die Anwerbung durch Egtor, wie gesagt, sehr konventionell daherkommt, bin ich an dieser Stelle schwer begeistert und freue mich auf den Höhepunkt: Den Einbruch auf Gut Marschenhof.
Der Einbruch
Die gesamte zweite Hälfte des Hefts befasst sich mit Gut Marschenhof und dem Einbruch. Und auch hier überzeugt das Abenteuer wieder mit seinem offenen, dynamischen Aufbau: Schloss und Bewohner werden glaubwürdig beschrieben: Was passiert zurzeit auf dem Schloss (immerhin ist die Herrin unlängst verstorben), wie gehen die Bewohnerinnen und Bewohner ihrem Tagwerk nach, was passiert wann und wo? (Beziehungsweise: Was würde passieren, wenn nicht zwei oder drei unterschiedliche Parteien in dieser Nacht einen Einbruch versuchen würden?) Auch die möglichen Varianten des Abenteuerablaufs bis hier hin werden berücksichtigt (Hat Ishara den Schlüssel oder haben ihn die Helden? Ist Sinold noch im Spiel, und falls ja, als Feind oder Verbündeter der Spieler?)
Ich fasse mich an dieser Stelle als Rezensent kurz: Auch dieser Teil ist außerordentlich gut geglückt. Der (vergleichsweise große) Umfang des Einbruch-Abschnitts ist passend gewählt und qualitativ hochwertig gefüllt. Die eigenen Agenden von Ishara und Sinold fließen gut ein, das Schloss wird überzeugend dargestellt und mit Leben gefüllt. Höhepunkt dieses Kapitels ist aber die detaillierte Karte der Anlage, der eine gesamte A4-Druckseite zugestanden wurde und die (im Gegensatz zu Karten in früheren Heldenwerken) auch eine Vergrößerung auf A3 schadlos überstehen dürfte. (Danke! Danke! Danke!)
Nach der Nacht auf Marschengrund geht es (hoffentlich mit den Akten im Arm) zurück zu Reichsrat von Ibengrund, um die versprochene Belohnung sowie 15 Abenteuerpunkte abzuholen.
Die Kritik
Man sieht, ich bin schwer angetan von den Paligan-Akten. Trotzdem kann ich dem Abenteuer in der vorliegenden Form keine richtig hohe Punktzahl geben. Denn es gibt eine einfache, von Spielerinnen und Spielern leicht daher gesagte Frage, die das Abenteuer komplett entgleisen lassen könnte, und bei der das Abenteuer den Spielleiter komplett alleine lässt. Diese Frage lautet:
Was steht eigentlich so drin in diesen Akten?
Die Paligan-Akten sind ein MacGuffin, dessen Macht nur noch von seiner Geheimnishaftigkeit übertroffen wird. In keiner Zeile des Heldenwerks wird die Möglichkeit angesprochen, dass die Helden etwas anderes machen, als die Dokumente ungelesen bei Egtor abzugeben. Wir reden bei der Autorin der Papiere immerhin von einer verstorbenen mittelreichischen A-Prominenten, die Jahrzehnte lang die Schmutzwäsche anderer A-Prominenz gesammelt hat. Was könnte in den Akten alles drin stehen … die Essgewohnheiten von Selindian Hal, das wechselhafte Magiepotenzial der kaiserlichen Zwillinge, die Zusatzprotokolle zum Alara-Hal-Ehevertrag, … mir qualmt fast der Schädel. In Anbetracht von Rimionas gesellschaftlicher Stellung im Reich halte ich es für gefährlich, diese Papiere in Heldenhand zu geben. Sie sind zwar laut Abenteuer in Geheimschrift verfasst, aber Geheimschriften lassen sich knacken. Darauf würde ich mich als Meister daher nicht einlassen wollen: Neue Herausforderungen steigern nur die Neugier der Spielerinnen und Spieler und führen zu Verdruss, wenn die Neugier nicht befriedigt werden kann. Und wenn die Helden die Verschlüsselung nicht knacken können, dann kann es das DBA in Vinsalt oder die Hand Borons in Al’Anfa mit Sicherheit – vielleicht hat Egtor ja die Reichstreue (oder die Goldgier) der Helden unterschätzt… Glücklicherweise ist das Problem einfach zu beheben, hier zwei mögliche Varianten:
Die unspektakuläre Variante: Wir streichen die gesamte mittelreichische Metaplotrelevanz. Das Abenteuer funktioniert genauso gut, wenn es statt der Paligan-Akten um das Kassenbuch von Vier-Finger-Alrik, dem Capo der Honinger Unterwelt, geht. Es ist dann nur weniger glamourös … Tatsächlich werte ich es aber als Pluspunkt, dass man das gesamte Szenario relativ einfach in seine eigene Kampagne integrieren kann.
Die einfache Variante: Statt um belastende Dokumente geht es einfach nur um ein Artefakt mit hohem ideellen und materiellem Wert, das Egtor gern in Besitz des Reiches wissen will (Alara Paligans diamantbesetzter Brautschleier, das opalene Rollsiegel, das Goldo seiner Tochter zum Abschied geschenkt hat, oder so was ähnliches). Dann könnten die Helden entscheiden, ob sie dieses Ding pflichtbewusst bei Egtor abgeben oder auf dem Schwarzmarkt in Yol-Ghurmak verhökern, ohne den Metaplot zum Kippen zu bringen. Ich würde es wohl folgendermaßen spielen: Dalman hat Egtor die verschlüsselt niedergeschriebenen Geheimnisse Rimionas bereits zugespielt, um ihn „anzufüttern“. Dalman weiß nämlich, dass die Akten ohne einen bestimmten Decodierschlüssel, bei dem es sich um Goldos opalenes Rollsiegel handelt, nicht zu entziffern sind. Dieses Siegel will Dalman jetzt teuer an Egtor verkaufen – der Rest des Abenteuers läuft wie gehabt.
In der gedruckten Fassung kann ich dem (ansonsten fast perfekten) Abenteuer nur sieben Einhörner geben. Das mag sich nach sehr harscher Kritik anhören, aber der Autor lässt Spieler und Meister hier im Regen stehen. Sicher muss man sich für ein Heldenwerk (dessen Prämisse es ja ist, es einfach an einem Abend spielen zu können) auf ein paar Einschränkungen einlassen – siehe nächster Absatz. Davon auszugehen, dass die Helden sich für die Akten wirklich gar kein bisschen interessieren, ist doch arg blauäugig und zu kurz gedacht. Daneben habe ich noch zwei kleinere Punkte, die aber keine weiteren Abzüge nach sich ziehen.
Erster Minipunkt: Der Einstieg ist wirklich sehr einfach gestrickt. Die ganze Anwerbung ist nicht weit von „In der Taverne kommt ein Fremder mit dunklem Kapuzenumhang an euren Tisch …“ entfernt. Darauf muss man sich als Spielerin und Spieler erst einmal einlassen. Ich habe lange überlegt, ob ich das Abenteuer wegen dieser Sache, wenn der oben stehende „große“ Kritikpunkt beseitigt ist, mit acht oder neun Einhörnern bewerten würde. Immerhin geht es hier um die Bewertungen „extrem gut“ gegen „perfekt“. Letztlich werte ich den simplen Einstieg aber als Pluspunkt: Im Gegensatz zu anderen Heldenwerken hat der Autor darauf verzichtet, hier noch einen „Dreher“ einzubauen, der dann nicht ausreichend weitergesponnen werden kann. Der schnörkellose, schnelle Einstieg ist genau das richtige für das Heldenwerk.
Oh, und ich meine zwischen den Zeilen zu lesen, dass der Autor noch was Größeres mit Egtor von Ibenburg vorhat. Daher an dieser Stelle ein Wort der Warnung: Der Metaplot ist immer dann problematisch für DSA, wenn er die Spielercharaktere zu Handlangern von „Meisterpersonen mit Agenda“ degradiert.
Zweiter Minipunkt: Das Abenteuer ist unfantastisch. Handlungen um den mittelreichischen Thron sind in der Regel nicht im Bereich der „hohen Fantasie“ verortet. Dieses Szenario ist aber extrem „weltlich“. Magie kommt nur in Form einer kleinen Feuerfalle in Rimionas Landgut vor, auf magische Möglichkeiten seitens Helden (oder Opposition) wird gar nicht eingegangen. Der Plot kann allerdings durch gängige Heldenzauber auch nicht wirklich gesprengt werden, insofern gibt es hier keine Probleme. Wer auf Heimlichkeit und hohe Politik steht, wird mit diesem Abenteuer glücklich, wem der Sinn mehr nach Magie und Fantastik steht, sollte sich nach etwas anderem umsehen.
Vom Gefühl her ist auch die stimmige Auswahl der Helden eingeschränkt. Ich empfinde ehrlich gesagt schon Ambosszwerge und Auelfen als „zu exotisch“ für das Abenteuer. Aber das war es jetzt wirklich mit der Kritik.
Das Einhorn verkündet: Ende des Spoiler-Bereichs
Die Paligan-Akten machen wirklich fast alles richtig, was ich von einem Heldenwerk erwarte. Die 16 Druckseiten sind passgenau mit einem schnell vorzubereitenden, leicht durchführbaren, Spaß versprechendem Abenteuer gefüllt. Die vorliegende Version bewerte ich mit sieben von neun Einhörnern. Wenn man einen schwerwiegenden, aber sehr leicht zu korrigierenden Fehler behebt, steht auch acht oder neun Huftieren nichts im Wege. Wer Lust auf einen Spielabend im Umfeld des mittelreichischen Adels hat, der sollte dringend zugreifen.
Nandurion dankt Ackerknecht für die Gastrezension und Ulisses-Spiele GmbH für das Rezensionsexemplar!
Weitere Rezensionen im Limbusnetz
- Engors Dereblick – 5 von 6 Punkten
- Ringbote – Ohne Wertung
Schön. Die Idee das in nem ganz anderen Kontext in die eigene Kampagne einzubauen werd ich mir auf jeden Fall merken.
Der mächtige Ali Al’Ahjan sagt: Ich kann gar nicht schleichen – und von Politik verstehe ich noch weniger, aber Wehe dem Wauwau passiert was 😉
Tolles Abenteuer, die wesentlichen Kritikpunkte teile ich. Daher komme ich auf 4 von 5 Sternen:
https://zumweltenblick.wordpress.com/2017/07/17/was-steht-jetzt-in-diesen-verdammten-akten/
Tolle Abenteueridee! Aber: Auch meinen Spielern könnte ich die Paligan Akten nicht in die Hände geben, ohne diese entschlüsseln zu können. Alles andere würde in hohem Frust enden. Ich würde mir als Meisterin die Mühe machen, einen Teil der Akten selbst zu entwerfen, ohne dass dabei das Mittelreich in eine Krise gerät. Ähnlich, wie beim Abenteuer „Die Attentäter“, in dem die Helden auch Mitwisser und Geheimnisbewahrer sind. Ein paar Anhaltspunkte, was drinstehen könnte, wären hier absolut sinnvoll gewesen! Jetzt muss man sich das Hintergundmaterial mal wieder selbst zusammensuchen …. Der Rezensent hat hier stichwortartig schon mal eine sehr gute Vorlage geliefert. Danke! Das hätte eigentlich Aufgabe des Autors sein sollen!
Ich bin alt, lange vom Rollenspiel weg und spontan:
Man könnte mit Abenteuern wie „Vergifteter Wein“ und „Die Attentäter“ auch erst mal eine Heldengruppe schulen, die Ermittlungen und Intrigen, statt Schlachtfelder & Borabadianern den Besserwisser machen, als Prioritäten durchgespielt hat.
So geht evtl. dann nur ein Stadtteil verloren UND man kann hinterher das Mittelreich komplett riskieren, oder unter sich aufteil…. Ahem.
„Psst, hätten Sie Kennedy eigentlich mit Fulminictus oder Flammenlanze..?“