Die Phileasson-Saga – Nordwärts

Als sich Anfang der 90er Jahre der Fantasy-Autor Bernhard Hennen aufmachte, einen Meilenstein in der Geschichte des Schwarzen Auges zu schaffen, hatten Namen noch einen anderen Stellenwert für Autoren und Leser. Mehr oder minder gelungene Anleihen bei irdischen Personen und Geschichten waren nicht nur an der Tagesordnung, sondern phasenweise geradezu stilprägend. So nimmt es auch nicht Wunder, dass ein Phileasson Foggwulf zu einer achtzig Wochen dauernden Wettfahrt um Aventurien aufbricht. Dass der Ausgangspunkt für diese Reise ausgerechnet das eher hinterweltlerische und für heutige Verhältnisse eher unbedeutende Thorwal ist, darf einen in diesem Zusammenhang ebensowenig wundern. Dennoch gelang es Bernhard Hennen schon damals ein Werk zu schaffen, das in der Welt des Schwarzen Auges seinesgleichen sucht. Mag die Rückkehr der Finsternis die Weltenzeitwende eingeleitet haben, die Phileasson-Saga hat die Welt des Schwarzen Auges erst bereitet für die großen Helden, die nach ihr kamen.

Nachdem inzwischen vier Versionen der Saga meine Bücherregale zieren, gingen vor einiger Zeit merkwürdige Gerüchte um. Die nach Anzahl der Auflagen gemessen, wohl bei Weitem beliebteste Kampagne des Schwarzen Auges, solle vom Autor selbst in einer Roman-Adaption verarbeitet werden. Was sich aus Sicht der Pen&Paper Rollenspieler zunächst recht obskur anhört, hat indes bei Hennen eine Art Präzedenzfall. Seine zweite großartige Kampagne in der Welt des Schwarzen Auges, Das Jahr des Greifen, erschien seinerzeit mehr oder weniger parallel als Roman und Rollenspiel-Abenteuer. Im April 2016 wurde es dann tatsächlich wahr. In Zusammenarbeit mit dem ebenfalls nicht unbekannten Autor Robert Corvus erschien mit Nordwärts der erste Teil der Saga als Roman.

Die Präsentation

Etwas überrascht hat mich die Tatsache, dass die Saga tatsächlich in zwölf Einzelbänden veröffentlicht werden soll. Jeder Aufgabe der Reise einen eigenen Band zu widmen ist natürlich sehr konsequent und bietet wunderbare Möglichkeiten, stellt jedoch auch wirtschaftlich gesehen ein nicht unerhebliches Risiko dar. Tatsächlich ist es so, dass der Verlag die Romane in Chargen von jeweils drei Stück kauft. Aktuell sind nach gelungenem Auftakt die Bände vier bis sechs ebenfalls gesichert. Der phänomenale Erfolg der limitierten Deluxe-Ausgabe dürfte ebenfalls für Rückenwind gesorgt haben. Von diesem bibliophilen Ungetüm mal abgesehen erscheinen die Romane als Paperback und eBook. Ich beziehe die Titel für zwölf Euro direkt über meinen Kindle.

Und wo wir schon bei Äußerlichkeiten sind noch zwei Dinge vorweg. Das Cover von Kerem Beyit ist angenehm stimmig und fängt die Atmosphäre des ersten Bandes für mich gut ein. Zwar frage ich mich immer noch, ob mir das achtzackige Symbol auf dem Segel irgendetwas sagen müsste, aber ich bin ja immer schon dankbar, wenn das Titelbild überhaupt einen erkennbaren Bezug zum Inhalt hat.

Weiterhin gibt es zum Beginn des Romans (und seiner Nachfolger) eine Aventurienkarte zum Überblick. Hier findet man auch die Stationen der Reise, was bei einer Weltumsegelung durchaus von Vorteil ist. Zumindest in meiner digitalen Ausgabe ist diese Karte jedoch sehr unglücklich überlappend zusammenkopiert und sieht echt gruselig aus. Warum es hier die alte Karte von Ralf Hlawatsch nicht getan hätte und was der Verlag gegen Daniel Jödemann als den neuen Kartographen hat, um ihn mit solchem Pfusch zu diskreditieren, vermag ich nicht zu sagen. Die vertrauten Umrisse von Aventurien sind auf diesem Layout-Unfall bestenfalls zu erahnen.

Und vor dem Buch kommt der Prolog

Na na na, auch der lesende Recke muss Zähigkeit beweisen!
Bernhard Hennen auf Leserunden.de

Zu Beginn der Lektüre freute ich mich auf ein Wiedersehen mit Phileasson und den Figuren meiner Jugend. Auch wenn im ersten Teil noch keine meiner persönlichen Highlights zu erwarten sein würden, wäre doch die Einführung der Figuren Lohn genug. Verwirrt hatte ich darum früheren Rezensionen entnommen, dass der Prolog sehr kontrovers gesehen wurde. Vorweg darf hier gesagt werden, dass die Autoren hier ein zumindest für mich neues Konzept von Prolog einführen. Die novellenartigen Texte werden dazu genutzt, bestimmte Figuren zu vertiefen und in der Regel Elemente aus ihrer Hintergrundgeschichte auszubreiten.

Auch wenn ich dies grundsätzlich nach wie vor für eine gute Idee halte, scheiden sich doch am Prolog zur Nordwärts die Geister. Ohne zu viel zu verraten darf ich doch an dieser Stelle sagen, dass ich den Einstieg in eine Saga mit widerwärtigen Mord- und Vergewaltigungsszenen für eher problematisch halte. Da ich die Kampagne bereits am Spieltisch erlebt habe, konnte ich den Prolog durchstehen ohne befürchten zu müssen, dass das nun die nächsten paar Hundert Seiten so weiter geht. Wer seine Unterhaltungslektüre nicht mit solcherlei „Genüssen“ würzen möchte, muss entweder auf den Prolog und die damit verbundenen Hintergrundbezüge einiger Figuren oder aber gleich die gesamte Saga verzichten.

In meinen Augen hätte hier für den Einstieg in eine ganze Reihe besser ein anderer Weg gewählt werden sollen. Gelegenheit dazu besteht im übrigen durchaus. Immer wieder findet man Andeutungen über die Entstehung der Feindschaft zwischen Beorn Asgrimmson und Asleif Phileasson. Mag sein, dass den Autoren ein solcher Prolog zu konventionell gewesen ist. Unpassend wäre er ganz gewiss nicht gewesen.

Die große Wettfahrt

Ihr sollt eine Reise antreten, die euch in die fernsten Winkel Aventuriens führen wird. Ihr werdet euch an Aufgaben beweisen, denen sich noch kein Mensch zu stellen wagte. Es wird eine Fahrt sein, wie sie nie zuvor ein Recke gewagt hat. Wer siegreich zurückkehrt, der darf sich fortan König der Meere nennen.
Thorwals oberste Hetfrau Garhelt zu zwei streitenden Kapitänen in ihrer Halla

Der Einstieg in die Geschichte erscheint eher unspektakulär. Die beiden erbitterten Konkurrenten, der Plünderer Beorn und der Entdecker Phileasson, geraten in Streit und werden von der obersten Hetfrau auf oben genannte Wettfahrt geschickt. Was hier schon episch klingt, wird sich in den folgenden Bänden zu einer Saga ungeahnten Ausmaßes entwickeln. Nach den Regeln der Wettfahrt müssen die Drachenführer eine neue Mannschaft anheuern und mitten im Winter aufbrechen, um im hohen Norden einen zweizähnigen Kopfschwänzler lebendig zu fangen und nach Thorwal zu verschiffen. Während der Plünderer Beorn seine Mannschaft aus kampferprobten Recken des nördlichen Thorwals zusammenstellt, nimmt der Entdecker Phileasson auch fremdes Volk wie Elfen, Magier und ähnlich seltsame Gestalten in sein Gefolge auf.

Die erste Aufgabe gestaltet sich nun noch recht konventionell. Man meistert die Gefahren des eisigen Meeres, übersteht die Begegnung mit den wilden Schneeschraten und gelangt ins Tal der Donnerwanderer. Dort kann man eines der gesuchten Tiere, hier übrigens mit weißem Fell und rötlichen Stoßzähnen, fangen und zu den Schiffen bringen. Natürlich ist dies kein Spaziergang. Die Ottajaskos, so der thorwalsche Name für die Schiffsgemeinschaften, müssen viel erdulden und erleiden auch Verluste. George R. R. Martins Prinzip des „töte die Figuren sobald sie den Lesern ans Herz gewachsen sind“ wird hier zwar nicht ganz so konsequent gespielt, aber immerhin wirken die Gefahren so auch echt.

Die Besetzung

Natürlich müssen die Figuren für ein Romanprojekt dieser Klasse etwas mehr Tiefgang bieten als die übliche Besetzung einer Rollenspiel-Kampagne. Die Teilnehmer sind zumindest auf einer Seite nicht die typischen mordenden und plündernden „Helden“ der Spieltisch-Saga sondern echte Menschen. Obschon dies eigentlich selbstverständlich sein sollte, war dies für mich zunächst eine irritierende aber irgendwie auch beruhigende Erkenntnis.

Auffällig ist schon hier die hohe Zahl der Protagonisten. Während der Blender immerhin nur ein Besatzungsmitglied austauscht, heuert Phileasson bereits im ersten Hafen zwei neue Mitglieder an. Eine Station später ist außerdem noch ein Nivese hinzugekommen und bis zum Ende des Romans hat sich der Ottajasko noch eine weitere Elfe angeschlossen. Wie dieses Personalkarusell weitergehen wird bleibt noch offen. Die spannende Frage, wie unter solchen Bedingungen eigentlich die Beute aufgeteilt wird – immerhin sprechen wir hier von einer thorwalschen Expedition – bleibt leider ungeklärt.

Eine auch für die Rollenspieler spannende Neuerung ist die Beleuchtung der Geschichte aus der Perspektive von Beorn Asgrimmson. Etwa ein Drittel des verfügbaren Platzes soll für den Blender reserviert sein. Die Innenansichten und teilweise parallel laufenden Herausforderungen illustrieren immer wieder schön die Unterschiede zwischen den beiden Kapitänen. Auch wenn beide viele der thorwalschen Werte teilen, gehen sie doch unterschiedlich an gewisse Dinge heran. Beorn ist dabei keineswegs der dunkle Zwilling eines strahlenden Phileasson. Vielmehr trifft auch der Foggwulf genannte Entdecker harte Entscheidungen und Beorn erweist sich als guter und umsichtiger Anführer. Dies geht nicht unbedingt soweit, dass Beorn auf der Sympathieskala vorne liegt, aber er ist weit entfernt davon, das Abziehbild eines schurkischen Antagonisten zu sein.

Fazit

Die Phileasson-Saga als Roman-Reihe in zwölf Bänden. Eine voraussichtliche Dauer von mehreren Jahren bis zum Erscheinen des letzten Bandes und mehrere Tausend Seiten Umfang. Ganz sicher haben sich Bernhard Hennen und Robert Corvus hier kein kleines Werk vorgenommen. Und auch auf die Leser kommt hier einiges zu, wobei die voraussichtlichen Gesamtkosten der Saga von mindestens 180 Euro in diesem Zusammenhang eher weniger gewichtig erscheinen.

Ich habe im Vorfeld lange mit mir gerungen und auch die verschiedenen Rezensionen konnten mich ganz und gar nicht überzeugen. Nach der Lektüre kann ich jedoch guten Gewissens eine Empfehlung aussprechen. Sowohl für ehemalige Spieler der Kampagne, Freunde des Schwarzen Auges, aber auch jene Leser, die sich ganz ohne Vorkenntnis in diese großartige Expedition in ein unbekanntes Land stürzen wollen, dürfte die Saga eine lohnenswerte Lektüre sein.

Schon jetzt ist absehbar, dass die Romane in einigen Aspekten so vielseitig sein werden, wie die Herausforderungen selbst. Dabei wird es auch immer Dinge geben, die man selbst nicht so gut findet. Für mich ist der Prolog von Nordwärts ganz klar der Wermutstropfen in diesem ansonsten sehr gelungenen Auftakt. Die Reflexion über diese eigenen Eindrücke und Bewertungen erlaubt es zugleich aber auch, wieder einmal etwas über sich selbst zu lernen. Das ist mehr als die meisten Bücher anzubieten haben. Das wohl!

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2 Antworten zu Die Phileasson-Saga – Nordwärts

  1. RekkiThorkarson sagt:

    Sehr schöne Rezension die ich gern gelesen habe auch wenn ich derzeit bereits bei Band 4 bin. Ich habe die Saga selbst zwei ganze Male mit einem Jahrzehnt dazwischen als Spieler erleben dürfen und trotzdem fesseln mich die Romane wie kaum eine andere Lektüre.

    Rekki

  2. Christian Sommer sagt:

    Mehrere Male schon habe ich mir überlegt, ob ich dieser Romanreihe nun doch eine Change geben soll.
    Ich kehrte dann, wie jetzt auch, jeweils dazu zurück mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, die ich mir hier zu Gemüte führen würde.
    Leider komme ich immer wieder zum Schluss, dass ich diese Bücher links liegen lasse.
    Warum? Nun ja es ist der Prolog, aber nicht aus demselben Grund weshalb er Anderen missfällt.

    Seit A Song of Ice and Fire sind wir uns ja einiges gewöhnt, was nicht zwangsläufig heissen will dass Gewaltdarstellungen abstumpfen, aber offenbar verbinden Autoren die Darstellung exzessiver Gewalt mit einem „Erwachsenwerden“ des Fantasy Genres und so mancher möchte vielleicht gerne an den Erfolg G.R.R. Martins anknüpfen, aber das ist noch nicht einmal das eigentliche Problem.
    Das Problem ist, dass eine bereits sehr detailliert ausgearbeitete Ecke Aventuriens auf eine Art und Weise dargestellt wird, die überhaupt nicht in das bereits bekannte Bild passt, das von vielen Leuten im Verlaufe der letzten Jahrzehnte gezeichnet wurde. Jurga Tjalfsdottir, Lialin die Kühne, Eilif Hardredsdottir, Swafnild Thorfinnsdottir, Garhelt Rorlifsdottir-Jandasdottir, Jurga Trondesdottir, Marada Gerasdottir, Eilif Sigridsdottir, etc., die Liste Thorwalscher Frauen, die Kriegerinnen, Piratinnen, Anführerinnen oder alle diese Dinge gemeinsam waren, ist sehr, sehr lange. Mit anderen Worten, die Frauenfeindlichkeit, die Herr Hennen den Thorwaler zuschreibt, ist völlig fehl am Platze, sie passt von Anfang bis Ende weder in die Geschichte, noch die Kultur der Thorwaler.
    Herr Hennen schreibt den aventurischen Kontext völlig um, damit er uns eine Geschichte über Mord und Vergewaltigung präsentieren kann, die so nicht in die Welt passt von der er behauptet, dass er sehr gut kennen würde.
    Ehrlich gesagt sind mir seine Motive völlig egal, was mich stört ist, dass Herr Hennen keine Achtung vor dem Aventurien hat, das viele Hände gemeinsam geschaffen haben, und ON TOP davon die Thorwaler umschreibt, um ein Feindbild zu schaffen, das die Leserinnen und Leser entzweit. Herr Hennen spaltet die Leserschaft in zwei Lager, eines, das dieses Feindbild in Aventurien haben will, um es in dieser Fantasywelt an den Pranger stellen zu können, und das andere Lager, das Aventurien dadurch unterminiert und zerstört sieht. Das kann ich nicht honorieren, also werde ich diese Bücher auch nicht kaufen.

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