Das Kyndoch-Kontor war von Ende der 90er bis weit in die Nuller-Jahre hinein eine Internetseite, wie es seinerzeit viele gab. Das besondere Verdienst des Betreibers Jesco von Voss war jedoch die Sammlung von Errata und Meistertipps, die man hier zu beinahe jedem Abenteuer gebündelt einsehen konnte. Nach dem Aus dieser bemerkenswerten Internetpräsenz fanden diese Inhalte eine vorübergehende Heimat auf Alveran.org, zu dieser Zeit eine der größte und aktivsten DSA-Webseiten. Nachdem auch Alveran wenige Jahre später seine Pforten für immer schloss, wanderte von Voss Vermächtnis in die umfangreichen Archive der Wiki-Aventurica. Dort sind sie auch heute noch zu finden.
In der Tradition dieser wundervollen Sammlungen möchte ich einen Beitrag zu einem Abenteuer leisten und meine Erfahrungen in Form von Tipps und Handreichungen weitergeben.
Heute: Über den Greifenpass von Thomas Finn aus dem Jahr 1997
Motivation und Verfügbarkeit
Schon als ich seinerzeit eine Chronik für eine neue Spielgruppe entwarf, hatte ich das Abenteuer Über den Greifenpass ins Auge gefasst. Das Abenteuer aus der Feder von Thomas Finn gilt zurecht als klassisches Einsteigerabenteuer und trotzt aufgrund seiner allgemeingültigen Motive dem Zahn der Zeit bis zum heutigen Tag. Nach einigen kleineren Einführungsabenteuern und kurzen Szenarien sollte dieses Werk das erste größere Abenteuer sein, welches meine Heldengruppe erleben sollte. Tatsächlich schrieb das Leben meine Pläne etwas um und nachdem einige Personen die Spielrunde verlassen hatten, sandte ich schließlich neue Figuren nach Gratenfels um dort ihre eigene Geschichte zu schreiben. Damit gelangte das Abenteuer nun also doch wieder als das Einstiegsabenteuer zu Ehren.
Als Abenteuer der DSA3-Ära sollte Über den Greifenpass besser verfügbar sein, als manches DSA4-Werk, sich allerdings auch rarer halten als die Großauflagen der alten Schmidt-Spiele Kampfprodukte. Die erzielten Ebaypreise, welche der Tzzz-bot Bot der Wiki-Aventurica sammelt, liegen in den letzten zwei Jahren bei etwas über 20 Euro. Das scheint mir ein einigermaßen humaner Preis zu sein. Eine PDF Version dieser Werke gibt es ja in aller Regel noch nicht und für eine Neuauflage als eines der seltsamen DSA1-Retro-Produkte ist das Abenteuer dann doch wiederum zu jung. Insgesamt dürfte das Abenteuer aber immer wieder mal erhältlich sein, wenn man es denn nicht allzu eilig hat.
Struktur und Vorbereitung
Im Rahmen der Vorbereitungen für dieses Abenteuer habe ich verschiedene Karten und Handouts erstellt. Zwei dieser Handouts ist ein eigener Beitrag gewidmet. Die gesamte weitere Vorbereitung und Rückschau auf die Umsetzung in der Praxis wird sich über insgesamt vier Artikel erstrecken.
- Gratenfels bei Nacht zeigt die Bearbeitung von Hlawatschs Karte für meine Zwecke
- Algortons Tal im Greifenpass beschreibt die Erstellung einer Karte für das Finale
Da das Abenteuer auch einen Platz als Einsteigerabenteuer hat, spielt die Kulisse der Stadt Gratenfels zur Zeit des Kupperus-Festes eine wichtige Rolle. Hier bietet sich Gelegenheit, dass die Gruppe einander kennenlernt und jede Figur etwas Raum bekommt. Eine zentrale Frage stellt sich gleich am Stadttor. Ohne entsprechende Standesprivilegien müssen unsere Junghelden alle größeren Waffen abgeben. Neben einer ersten Berührung zum phantastischen Realismus hat dies auch konkrete Folgen für den späteren Aufruhr in der Stadt. Denn ohne ihre üblichen Waffen müssen manche Helden womöglich etwas kreativer werden, wenn es darum geht die ausgebrochenen Bestien zu überwinden.
Eine besondere Begegnung besteht in meiner Runde noch aus dem jungen Grolm Naftl. Dieser gehört zu einer Gruppe von Grolmen, welchen die Gruppe bereits in vorherigen Abenteuern begegnet ist und welche kürzlich einige Tatzelwurmeier an die Hexe Yala Sintelfink verkauft haben. Leider ging der Handel schief, die Grolme wurden als lebende Astralspeicher entführt und Naftl entkam, weil er bei der Überquerung eins Flusslaufs ins Wasser fiel und die Entführer ihn für tot hielten. Naftl kann Hinweise auf verschiedene Elemente geben, denen die Helden in Algortons Tal begegnen werden. Ob die Figur in einer neuen Heldengruppe ohne Vorgeschichte funktioniert muss jedoch gut überlegt werden.
Neben den individuellen Angeboten für einzelne Spieler-Figuren ist es mir vor allem wichtig, die Aspekte der Stadt Gratenfels zu vermitteln. Drei Komponenten spielen hier eine primäre Rolle.
Als erstes sind dies die gigantischen Festungsanlagen, welche die Helden bereits bei Anblick der Stadtmauern ausmachen können.
Als zweites ist es mir wichtig, die immerzu klamme Stadtkasse erlebbar zu machen. Schon vor den Toren beginnt dies damit, dass einige Gäste des Kupperusfestes trotz der Kälte ihre Zelte und Stände vor der Stadt aufschlagen. Die Gebühren und Preise in der Stadt sind ihnen einfach zu hoch. Natürlich kostet die Verwahrung von unerlaubten Waffen am Stadttor saftige Gebühren. Aber auch in der Stadt dürfen die Helden erfahren, dass kleinere Vergehen gerne mit hohen Geldstrafen geahndet werden.
Der dritte Aspekt der Stadt ist die berühmte Schwefelquelle, deren Gestank im ganzen Viertel spürbar ist und gerade für empfindsame Elfennasen eine besondere Beleidigung darstellt. Auch die Anwesenheit des einen oder anderen Alchemisten kann diesen Aspekt noch einmal anspielen.
Die Einladung: Nach dem ganzen Flausch ist es entscheidend, die Gruppe zum Abendessen bei Balthasius zu lotsen. Zwar lässt sich der Plot theoretisch auch spielen, ohne dass es zur direkten Begegnung mit Balthasius und Sintelfink kommt, doch ich finde den von Finn geplanten emotionalen Anker hier sehr sinnig. Die Begegnung Artos mit der Schlange ist mir jedoch deutlich zu lahm. Stattdessen umfasst mein Angebot verschiedene mögliche Szenen.
Als Hauptanker dient eine Szene, in der die Gruppe den Hauptmann bei einer Geiselnahme unterstützen kann. Einige Strauchdiebe haben sich in die Stadt geschlichen und wurden überraschend erkannt und sollen festgenommen werden. Bevor der Hauptmann jedoch Unterstützung rufen kann, haben die beiden ein kleines Mädchen als Geisel genommen (einer meiner Mitspieler hat eine kleine Tochter) und versuchen panisch zu entkommen. Die Alternative einer Verfolgungsjagd verwerfe ich an dieser Stelle wieder, da es hier schwieriger ist alle Spieler-Figuren aktiv einzubinden und zu motivieren.
Als zweite Option bietet sich eine Begegnung mit Lena Balthasius an. Als diese von der Ankündigung ihres Verlobten über die ungeplanten Gäste erfährt, geht sie noch einmal fürs Abendessen einkaufen. Ein Duo aus zwei Taschendieben bietet genügend Ansatzpunkte um bei Bedarf auch mehr als einen Helden in Aktion treten zu lassen und kann hinzugekommene Spieler am zweiten Spielabend kurzfristig ins Geschehen bringen.
Je nach Hintergrund kann Balthasius natürlich auch direkte Anlaufstation sein, da er der einzige Zauberer der Stadt ist und auch bei Zwergen und Menschen für seinen Einsatz gegen finstere Magie bekannt ist.
Das Abendessen mit Balthasius soll weitestgehend wie beschrieben ablaufen. Hier mache ich mir nur etwas Gedanken zum Ablauf. Nachdem Lena die Gruppe in Empfang nimmt und diese die Standuhr bewundern können, hat zunächst der Magier seinen Auftritt. Sobald der erste Smalltalk hier durch ist, darf sich Sintelfink zum Abendessen dazu gesellen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es mir, die verschiedenen Figuren leichter unterscheidbar einzuführen und nicht permanent zwischen mehreren Meisterpersonen hin und her springen zu müssen. Der Hauptmann wird für den Abend in die Küche verbannt. Schließlich hat er seiner Verlobten ein halbes Dutzend zusätzlicher Gäste eingebrockt und darf daher auch gleich mal die aventurische Gleichberechtigung am Herd unter Beweis stellen.
Die Bestien sind los: Die zweite Actionszene des Abenteuers geht natürlich in die Vollen. Die Nacht hat Gratenfels in Dunkelheit gehüllt und auch die zahlreichen Lichter vermögen nicht alle Ecken auszuleuchten. Zwar flieht ein Großteil der Menschen panisch vom Marktplatz, aber das bedeutet nicht, dass wir es hier mit einem überschaubaren Kampfplatz zu tun hätten. Dunkelheit, Brände, umgeworfene Stände und immer noch zahlreiche, vermutlich hilfsbedürftige, Menschen machen die Lage sehr unübersichtlich. Natürlich habe ich die Kreaturen des Bestiariums angepasst. Neben dem Höhlenbär, der von der Ehrengarde in Schach gehalten wird, treiben sich zwei Große Schröter auf dem Marktplatz herum. Die dritte (respektive vierte) Bestie ist eine besondere Attraktion. Hier bringe ich eine junge Maraske ins Spiel, die sich frühzeitig ins Zwergenviertel absetzt.
Als zuätzliches Angebot installiere ich ein weiteres Ablenkungsmanöver. Ein durch alchemistische Pülverchen aufgemotzter Brand im Theater liefert eine weitere Möglichkeit der Interaktion.
Der Auftrag durch den Landgraf Alrik Custiodias Greifax von Gratenfels wird wiederum nahezu unverändert aus dem Abenteuer übernommen. Für das Erscheinungsbild des Grafen werde ich die schnauzbärtigen Helden Yüces zitieren, dass sollte bei den Spielern die passenden Assoziationen wecken.
Die Verfolgung soll die Helden zunächst einmal nach Süden führen. Es erscheint mir reichlich unnötig, dass die Schurken hier nicht wenigstens ein kleines Manöver der Irreführung unternehmen. Daher werden die Entführer durch das südliche Tor die Stadt verlassen und in der Nacht, die auf einem Bauernhof untergebrachten Pferde abholen. Erst über einen Umweg begeben sich die Schurken wieder auf die östliche Straße in Richtung Greifenpass.
Das Wirtshaus zum Schwarzen Keiler wird als weitere Zwischenstation eingeplant. Hier besteht noch einmal die Möglichkeit zum Innehalten und Rekapitulieren. Neben der Wirtin wird deren Verehrer Woltan von der Finkenweide anwesend sein. Zusätzlich implementiere ich eine weitere Begegnung mit einem reisenden Magier mit geheimnisvoller Agenda, der in der Gegend unterwegs ist. Als Aufhänger dient eine offenkundige Verletzung, die sich als üble Pfeilwunde herausstellt und versorgt werden muss. Als Gesprächsangebote kann der Magus neben einigem schwurbeligen Hintergrund auch konkrete Hinweise auf Orks im Gebirge geben. Diese knüpfen wiederum an die Geschichte des Grolms Naftl aus der Einleitung an. Als optionalen Gimmick lege ich dem Zauberer einen Singenden Pfeil in den Beutel, den er möglicherweise an eine passende Heldin weitergeben wird. Dass der Zauberstab des maraskanischen Verwandlungsmagiers von einer Maraske geziert wird, ist natürlich eine kalkulierte Irreführung für die Verschwörungstheoretiker am Tisch.
Der Praxistest – ein Spielbericht
Meine Helden gelangen auf verschiedenen Wegen nach Gratenfels und treffen dann beim Besuch des Bestiariums zusammen. Ein paar Schauergeschichten tragen dazu bei, der Gruppe ein wenig Respekt vor den Kreaturen einzuflößen. Jede Figur bringt eigene Geschichten und Anker mit, um sich in Gratenfels umzutun. Der adlige Krieger vermutet hinter Magister Balthasius gleich einen finsteren Nekromanten, da der Thorwaler aber einen Botengang zum Praios-Tempel macht, kann ich auf den starken Praios-Glauben in der Stadt und Balthasius guten Leumund hinweisen.
Die Geiselnahme und die Begegnung mit Hauptmann Arto funktioniert sehr gut. Aufgrund der heiklen Situation mit mehreren Beteiligten können alle Helden einen Betrag leisten und zum ersten Mal als Gruppe zusammenarbeiten. Einen später hinzugekommenen Magierhelden lasse ich direkt bei Balthasius als lokale Koryphäe vorstellig werden. So geht es also weiter zum Abendessen.
Das Abendessen bei Balthasius verläuft tatsächlich wie geplant. Ein paar gezielte Beleidigungen Sintelfinks machen klar, das mit der Dame nicht gut Kirschen essen ist. Dabei ist es gar nicht nötig, jeden Helden einzeln anzugehen. Ein paar ausgesuchte Gemeinheiten für zwei drei Helden reichen vollkommen. Arto wird zum Küchendienst eingeteilt und stellt somit klar, dass Lena sich durchaus auch zu behaupten weiß, wenn der Verlobte mal eben ein halbes Dutzend Leute ungeplant zum Abendessen einlädt.
Der anschließende Aufruhr in der Stadt wird stimmungsvoll inszeniert. Vor allem die Dunkelheit sorgt dabei für Atmosphäre. Auf dem Marktplatz stoßen die Helden auf einen zwergischen Steinguthändler, dem sie bereits am Stadttor begegnet waren, der mit verzweifelter Sturheit versucht seine Waren vor den Bestien zu beschützen. Einem Käfer wird schnell der Gar ausgemacht. Ein weiterer wird vor dem Theater in bunte Bänder eingehüllt und gefangen. Für besonders intensive Atmosphäre sorgt dann die Jagd auf die Maraskantarantel im extrem unübersichtlichen Zwergenviertel. Die Angst vor dem Gift und ein Gegner, der problemlos Wände erklimmen kann, liefern den Stoff für eine neue Heldentat.
Die morgendliche Audienz beim Grafen Alrik wird nur etwas getrübt durch den Kater (1 Stufe Verwirrung), den die Helden vom Vorabend übrig haben. Die Recherche verläuft recht kurz, da die Gruppe nach einem Besuch im Haus Balthasius den Hund der Gruppe die Spur aufnehmen lassen will.
Was, der heißt auch Alrik? Moment, Alrik war der Kevin Aventuriens, richtig?
– Audienz beim Grafen Alrik Custodias von Gratenfels
Die Helden folgen der Spur nach Süden und schwenken dann nach Osten. Am Mittag ist man so durchgefroren und müde, dass die Gruppe im Wirtshaus zum Schwarzen Keiler einkehrt, um dort etwas zu regenerieren. Der reisende Magier nimmt natürlich Anleihen bei den Klischees des Fantasy Rollenspiels. Eine völlig vermasselte Probe auf Heilkunde Wunden sorgt für erinnerungswürdige Momente. Meine Tochter hat die Pfeilspitze für den Singenden Pfeil als Handout vorbereitet und so geht eine Spielerin mit einem Beutel und einer Pfeilspitze aus Moosgummi aus dieser Szene. Tschechovs Waffe ist in einem Rollenspiel mit seiner großen Entscheidungsfreiheit natürlich immer ein schwieriger Ansatz. Aber meinen Helden ist bewusst, dass sie den Pfeil nur in der Region einsetzen können. Mit der Aufforderung ihn wieder zurück zum Gasthaus zu bringen, falls er nicht benötigt wird, schaffe ich eine weitere Verbindung für zukünftige Abenteuer. Eine Spielerin ist der festen Überzeugung, dass es sich bei dem Magier um einen Chimärologen handeln muss, schließlich sagt die Maraske auf seinem Zauberstab alles. Problematischer ist jedoch die Übersetzung meines Aventurisch in die Alltagssprache.
Ich versteh kein Wort was der da erzählt. Was sind Schwarzpelze?
– Gespräche im Wirtshaus zum Schwarzen Keiler
Nächstes Mal in diesem Theater
Im zweiten Teil dieser kleinen Reihe erreichen unsere Helden den Schwarzen Turm der Magierin Domaris und müssen sich danach auf einer Hochzeit im Örtchen Dunkelhain beweisen, um hernach eine Herausforderung im Feenreich zu bestehen.
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