Der Kosch und die Nordmarken gehören seit langer Zeit zu den „Kernregionen“ der aventurischen Spielwelt. Daher ließen es sich Thorus, Felixius und Sirius nicht nehmen, ihre geschätzte Meinung zur Spielhilfe Die Flusslande zu äußern. Nebenbei ist es anscheinend die erste DSA-Rezension, die von drei Schreiberlingen verfasst wurde, die alle auf „us“ enden. In diesem Sinne rufen wir „us, us, us“ und los geht die Reise…
1. Erscheinungsbild und Struktur
Thorus: Der Band folgt in seiner Aufteilung den DSA5-Regionalspielhilfen Die Streitenden Königreiche und Die Siebenwindküste. Auf ein Einführungskapitel, das uns einen Überblick verschafft, folgt die vertraute Kapitelaufteilung. Insgesamt erwarten uns 194 Seiten in dieser gut gefüllten Spielhilfe, die auch optisch wieder einiges zu bieten hat.
Sirius: Die Erscheinungsbild gefällt mir. Das liegt auch am Cover: Hier übernimmt man quasi die Perspektive eines Zwerges und beobachtet gemeinsam mit zwei Mitstreitern, wie eine Schar Piraten einen Flusskahn kapert. Diese Arbeit von Tia Rambaran ist genauso gelungen wie die Illustrationen in den verschiedenen Kapiteln. Sehr atmosphärisch ist zum Beispiel die bildliche Darstellung des Bergbaus im Kapitel “Das Stammland der Zwerge”.
2. Handlungsschauplätze
Thorus: Ähnlich wie in der Regionalspielhilfe zu Nostria und Andergast werden zunächst die zwei Regionen (in diesem Fall das Fürstentum Kosch und das Herzogtum Nordmarken) in einem großen gemeinsamen Überblick vorgestellt. Das ist eine bewährte Vorgehensweise, denn vieles basiert auf Gemeinsamkeiten, wie Wetter, Klima und Geographie, so dass diese Dinge gut gemeinsam abgehandelt werden können. Schön sind auch die einleitenden Hinweise zu passenden irdischen und aventurischen Publikationen, wie bereits veröffentlichten Abenteuern. Dies betrifft auch den Medieneinsatz, beispielsweise Tipps für Soundtracks und inspirierende Filme und Serien. Eine Erklärung zu Reisen, Wegen und Wegstrecken rundet den Einstieg ab, so dass wir nach 16 Seiten bereits bestens gewappnet sind, um das Setting zu erfassen und im Spiel umzusetzen. Mit dem Folgekapitel “Land und Leute” geht es dann ins Detail.
Felixilius: Wie auch in den bisherigen Regionalspielhilfen werden die verschiedenen Städte und Dörfer der Flusslande sehr liebevoll beschrieben. Dabei bleibt nach dem Lesen fast immer ein kleines Detail hängen, welches als Abenteueraufhänger dienen könnte. Im Detail und mit Karten werden Albenhus, die Hauptstadt des Kosch, Angbar, die Hauptstadt der Nordmarken, Elenvina, Ferdok, Gratenfels und die heilige Zwergenstadt Xorlosch dargestellt.
Sirius: Genau. Es sind gerade die kleinen Details, an denen ich im positiven Sinne hängen blieb. Bittersüß ist hierbei die Erzählung einer Bardin über die Ruinen von Isnatosch: Eine Geschichte über funkelnde Edelsteine und über die Gier der Zwerge, die schließlich dazu führt, dass der Zorn ihres Gottes die Angroschim traf. Das Ganze weckt Bilder in meinem Kopf, Bilder vom “Einsamen Berg”, zu dem die Zwerge in “Der Hobbit” reisen. Da bekommt man Lust, sich einen Charakter zu erschaffen und die dunklen Hallen zu erforschen, von denen es heißt: “Nun herrscht Stille, wo einst tausend Hämmer erklangen und die eisernen Hallen werden vom Rost zerfressen.” (S. 23)
Thorus: Ich kann mich der grundsätzlich positiven Einschätzung anschließen. Nach dem Lesen entwickelt man eine gewisse Motivation, entweder in einem der ausgearbeiteten Orte ein Abenteuer stattfinden zu lassen oder einen Helden von hier zu spielen. Die Orte sind bzgl. ihres “Power-Levels” auch so unterschiedlich, dass sich sowohl das gute alte “Bauern-Gaming” spielen lässt, als auch richtig epische Fantasy. Denn sagenhafte und aus der DSA-Historie bekannte Orte für heldenhafte Großtaten gibt es in der Region gefühlt überproportional. Allerdings teile ich die Meinung nicht, dass die Beschreibungen (nicht die Flufftexte!) besonders “liebevoll” verfasst sind. Doch dazu später mehr.
3. Protagonisten und Antagonisten
Sirius: Während die meisten Personen von Rang und Namen ein gewisses Format haben, wirkt ausgerechnet der Fürst des Kosch ziemlich blass: Ein schwermütiger, entscheidungsschwacher Herrscher, den manch ein Untertan für verweichlicht hält. Versteht mich nicht falsch: Nicht jeder Herrscher muss ein zweiter Waldemar von Weiden sein oder das Zeug zum Helden haben, aber zumindest sollte er doch wohl nicht allzu langweilig daherkommen… Zig mal besser gefällt mir da Graf Growin, Sohn des Gorbosch. Der Herr von Ferdok ist ein Zwerg, wie er im Buche steht, der das Helle Ferdoker genauso liebt wie seine Arbeit in der Schmiede. Großartig finde ich es auch, dass eine waschechte Borbaradianerin zu den näher beschriebenen NSC gehört: Charissia von Salmingen, eine geheimnisvolle Antagonistin, bei der niemand ahnt, was sie zurzeit im Schilde führt… Zudem ist ihre Person im Rahmen des Regionalpreviews von DSAnews als Geheimakte: Charissia von Salmingen mit etwas Fanmaterial unterfüttert worden.
Thorus: Während viele aventurische Herrscher zwar mächtig beschrieben, aber eher unglücklich dargestellt werden, haben wir mit Anshold einen Waschlappen mit Ansage! Denn ein ausdrücklich schwacher und kränklicher Fürst ist mal etwas Neues. Und ich nehme die beleidigende Bezeichnung “Waschlappen” sofort zurück, denn Anshold ist mitnichten eine einseitige Persönlichkeit, sondern durch eine Vielzahl von Entbehrungen und Schicksalsschlägen zu einem depressiven Träumer geworden. Dadurch ist er nicht blass (wie die meisten neuzeitlichen DSA-NSCs), sondern ein Charakter mit Tiefgang. Und natürlich braucht so ein trauriger Herrscher vor allem eines: Unterstützung durch Helden. Das passt. Erwähnung finden sollen auch noch andere NSCs, die ich teilweise als “echte Originale” einschätze: Quelina von Salmfang ist eine erinnerungswürdige Meisterperson, ebenso Der Rote Jast, ein schelmischer Flusspirat. Und die eigenwillige Baronin von Nadoret ist zudem eine Auftraggeberin wie aus dem Bilderbuch. Auch die weiteren Personen, die in die Spielhilfe eingestreut sind, lassen die Flusslande sehr lebendig wirken.
Felixilius: Ich persönlich finde Charissia von Salmingen schrecklich. Abgesehen davon, dass sie ein gefährlicher Machtmensch ist, der vor Jahren mal eine Katastrophe angerichtet hat, weiß ich nach der Lektüre der Regionalspielhilfe nichts über sie. Sie wird als skrupellose Strippenzieherin gezeichnet, über die aber selbst das Mysteria & Arcana nichts relevantes zu berichten hat. Ihre derzeitigen Pläne sind unklar, ihre Vorstellung als bekannte Massenmörderin immer noch die Macht ergreifen zu können Blödsinn und allgemein liest sie sich wie ein: “Ach, die haben wir ja auch noch? Lass die mal grob mit in den Band nehmen, uns fehlt noch ein belangloser Antagonist, mit dem die Spieler machen dürfen, was sie wollen.” Das kann durchaus auch funktionieren, im Falle von Charissia von Salmingen, bei der ihr größtes Charaktermerkmal anscheinend “böse” ist, wirkt es aber langweilig.
4. Regeltechnisches
Thorus: Zwei Professionen sind meine absoluten Highlights: Die Druiden, mit ihren Dolch- und Sichelritualen und die Ingerimmgeweihten. Wer einmal als Miraculix durch Aventurien ziehen wollte, wird hier fündig. Sehr stimmungsvolle Regeln. Jetzt möchte ich einen HUMOFAXIUS ausprobieren! Ebenso bin ich vom Ingerimmgeweihten fasziniert, der natürlich gut in die Region passt.
Sirius: Fällt mir ein neuer DSA-Band in die Hände, dann betrachte ich immer zuerst die neuen Professionen. Diesmal sind es dabei vor allem die kämpferischen Professionen, die mir positiv ins Auge stachen: Die Lanzerin aus Ferdok, die Kriegerin, sowie der Schwertgeselle aus Elenvina und … natürlich … der Drachenkämpfer aus Xorlosch! Stimmungsvoll hierbei ist, dass der Drachenkämpfer nicht mal einen Kriegerbrief nötig hat, sondern mit einem Brandmal in Form eines Wurmspießes seinen Status klarmacht. Schön auch, dass seine Einstellung vom “normalen” Krieger abweicht: Ein Xorloscher Zwergenkrieger gilt nämlich dann als erfolgreich, wenn sein Feind stirbt, egal mit welchen Mitteln das erreicht wurde…
Auch der Mechanikus gefällt mir als typischer Held der Flusslande. Er ist zwar kein Kämpfer, aber durchaus in der Lage, sich mit Schlägen und Tritten oder einer improvisierten Hiebwaffe zur Wehr zu setzen. Da fehlt nur noch ein passendes Abenteuer, in dem er sein Wissen nutzen oder dem legendären Leonardo nacheifern kann.
5. Rüstzeug für Spielleiter
Felixilius: Kommen wir zu meinem größten Kritikpunkt, dem Kapitel Mysteria & Arcana. Fangen wir mal so an: An einem Pilgerweg ist nichts, aber auch gar nichts, mysteriös oder geheimnisvoll! Wenn das einzig Interessante an diesem Weg die “gefährliche Schwertschlucht” (wird nicht weiter erläutert!) oder irgendwelche durchschnittlichen Räuber sind, dann hat das im Mysteria & Arcana nichts zu suchen! Und warum nimmt ein regeltechnischer Chimärenbaukasten geschlagene drei Seiten ein, während eine Binge voll untoter Grolme – ein Ort von der Epik eines Moria aus „Herr der Ringe“ – mit einer Viertelseite abgespeist wird? Die Spionenfeste Koschgau, in der die berüchtigte „Letzte Schwadron“ der KGIA wertvolle und gefährliche Artefakte aufbewahrt, wird auf einer halben Seite skizziert, aber die generische Zollfeste Kaltenbluth bekommt fast fünf Seiten mit den üblich fantastischen Illustrationen und Karten? Vielleicht bin ich von dem großartigen Spielleiterteil in Havena – Versunkene Geheimnisse verwöhnt, aber das Mysteria & Arcana aus dieser Spielhilfe hat mich so maßlos enttäuscht, wie seit langem nichts mehr!
Thorus: Mmh. Hier habe ich eigentlich nicht viel zu meckern. Die randvoll gestopften Anhänge mit den Meisterinfos wissen zu überzeugen. Da sprießen zahlreiche interessante, fiese und auch überraschende Ideen im Spielleiterkopf. Allerdings hat Felixilius recht: Im Vergleich zu Havena ist es etwas dürftig.
Sirius: Auch meinen Spielleiterkopf hat das Kapitel Mysteria & Arcana angesprochen. Der Bezug zum Sternenfall und zum Namenlosen gefällt mir, insbesondere die Idee, konkrete Handlanger des Gottes ohne Namen näher zu beschreiben. Insgesamt kann man aber sagen, dass ein paar weitere Details nicht geschadet hätten. Und das erkläre ich ganz ohne Spoiler: Wenn im Text steht, die Völker der Flusslande seien durch die relativ einseitige Ausrichtung auf Praios und Ingerimm besonders angreifbar für den Kult der Namenlosen, dann kann ich mir zwar vage etwas vorstellen, aber eine echte Hilfe für Spielleiter sieht anders aus…
6. Atmosphäre und Spielspaß
Thorus: Insgesamt bietet die Spielhilfe sehr viel Stoff für sehr unterschiedliche Spieler. Ob man sich eher in der Natur aufhält, als Druide, Almbauer oder Krötenhexe, auf den Flüssen Piraten bekämpft (bzw. sich ihnen anschließt) oder tief in den Bingen der Zwerge schuftet: Die Region bietet genug Abwechslung, um sich eine längere Zeit in dieser Gegend aufzuhalten. Für Zwergenspieler ist der Band sogar ein Muss, da wir seit der Spielhilfe Angroschs Kinder, die rund 14 Jahre auf dem Buckel hat, nicht mehr so viel über Zwerge und ihr (mal mehr, mal weniger problematisches) Zusammenleben mit den Menschen erfahren durften. Auch die seltsam anmutenden Unterkapitel, wie zu den Bau- und Bastelmöglichkeiten und den Eigenschaften von Koschbasalt, sind ziemlich spezifisches Detailwissen, das aber für einen Ambosszwerg oder Ingerimmpriester essentielle Spielspaßerweiterungen bedeuten dürften. Erwähnen möchte ich zuletzt noch die unzähligen Verstrickungen zwischen den verschiedenen Adelshäusern. Hier dürften auch Intrigenspieler und Detektive unter den Fans auf ihre Kosten kommen. Die Meisterpersonen bringen alles mit, um nach Herzenslust Ränke zu schmieden… Massive Kritik gibt es meinerseits aber an der Atmosphäre. Denn die Spielhilfe schafft es nicht, die genannten Punkte stimmungsvoll und anregend zu vermitteln.
Sirius: Ich befürchte, es folgt jetzt ein längerer Rant. Wir bitten vorab um Entschuldigung.
Thorus: Die Spielhilfe fühlt sich für mich wie eine reine Fleißarbeit an, die zwar in puncto Vollständigkeit kaum Wünsche offen lässt, aber im Gegensatz zu den Streitenden Königreichen und insbesondere Havena, das letzte Quäntchen Herzblut vermissen lässt. Es lässt sich ein zentrales Phänomen diagnostizieren, das bereits in Ansätzen bei der Siebenwindküste auftauchte: Viele Texte sind im lieblosen Stil eines Reiseführers geschrieben und nicht als abenteuerliche Weltbeschreibung. Wer mir nicht glaubt, macht bitte folgendes Experiment: Lies beliebige Textabschnitte aus einer alten Regionalspielhilfe, dem aktuellen Havena oder Die Streitenden Königreiche und intoniere sie so, als wärest du ein Barde, der sie bei abendlichem Feuerschein und Grillenzirpen vorträgt: Funktioniert prima!
Mach nun dasselbe mit ähnlichen Textabschnitten aus den Flusslanden und du siehst und hörst, was das Problem ist. Frühere Regiotexte erweckten stets den Eindruck, dass der Autor persönlich dort gewesen ist und sich – abseits der Flufftexte – absichtlich zurücknehmen musste, um möglichst objektiv über eine Region zu berichten und nicht ins Schwärmen (oder Fluchen) zu geraten. Ich möchte dies anhand einiger Beispiele aufzeigen… Zunächst ein Auszug aus Unter dem Westwind, die allerersten Sätze über die Region der Streitenden Königreiche:
“Auch wenn weder Nostrianer noch Andergaster dem zustimmen würden, so ist die Region zwischen Steineichenwald und Tommel, zwischen dem Meer der Sieben Winde und der Messergrassteppe doch eine kulturelle Einheit: Zwar sind sie grundsätzlich Mittelländer, doch sind die Einflüsse von Orks und Elfen, Thorwalern und den Wesen und Geistern des Waldes deutlich spürbar, und die Jahrhunderte lange Trennung von Altem und Neuen Reich hat ihr übriges getan, […] einen besonderen Menschenschlag zu prägen.” (UdW, S. 135)
Zwei wunderschöne Schachtelsätze… Alles drin… Geographie, Stimmung, Einflüsse, Geschichte, Atmosphäre. Super!
Ergänzend noch eine Textstelle aus der Einführung der aktuellen Havena-Spielhilfe, die zeigt, dass auch heute noch großartige Texte für DSA geschrieben werden:
“Der untergegangene Teil der alten Stadt wird abergläubisch gemieden. Vor stolzen Segelschiffen am Kai, zwischen windschiefen Fassaden im Lichte blauer Gwen Petryl-Steine und in von traurigen Gesängen erfüllten Tavernen spürt man Havenas verwundete Seele. Ihre zwei Seiten zeigen sie immer aufs Neue: Vergehender Glanz und trübe Hoffnungslosigkeit hier, Aufbruch und Versprechen frischen Windes dort.” (Havena, S. 6)
Festhalten, denn nun kommen die allerersten inhaltlichen Sätze der Flusslande:
“Die Läufe von Ange, Breite, Großem Fluss, Nabla und Tommel bestimmen weite Teile der Region. Daneben erheben sich viele Gebirge, dichte Wälder bedecken die Bergrücken und reichen bis an die Flüsse.” (Flusslande, S. 8)
Und, auf derselben Seite noch folgende schaurige Textstelle:
“Das Setting der Flusslande basiert auf den Prämissen: Tradition, Recht & Ordnung und Kontakt mit den Zwergen. Diese klaren Leitmotive erklären die Unterschiede der beiden Regionen: versöhnliche Hügelzwerge und Gemütlichkeit im Kosch, abweisende Erzzwerge und ordnungsliebende Adlige in den Nordmarken.”
Mit so einer “poetischen” Einleitung hat man doch bereits richtig Bock weiterzulesen, was? Und wer nun glaubt, ich hätte mir hier nur die scheußlichsten Abschnitte herausgesucht: Weit gefehlt. Solcherlei Beschreibungen dominieren den Band:
Das Land ist zu großen Teilen von einer geradezu unmagischen Qualität. Ob das an den großen Vorkommen von Erz oder Koschbasalt liegt, ist umstritten.” (S. 15).
Das kannst du nicht als Barde vortragen, sondern nur als Nachrichtensprecher. Ich habe Jan Hofer im Ohr, wenn ich das lese. Und ich würde gedanklich ergänzen: “Aus Regierungskreisen heißt es, dass die Basaltfrage nicht abschließend geklärt ist und das Ministerium für Dienstag ein Expertengremium einberufen hat…” Ebenfalls sehr verbreitet ist das Phänomen von aufeinanderfolgenden Sätzen, die fast dasselbe sagen, aber wesentliche Informationen unterschlagen:
“Kaum eine andere militärische Einheit des Mittelreiches ist so bekannt wie die berühmten Ferdoker Lanzerinnen. Das gesamte Regiment besteht aus Frauen, die zu den besten Lanzerinnen Aventuriens gehören und deren Ruf sich weit über die Grenzen des Fürstentums Kosch hinweg verbreitet hat.” (S. 132)
Ganze viermal in zwei Sätzen wird erwähnt, dass sie ziemlich bekannt sind: Bekannt, berühmt, beste Aventuriens, Ruf weit verbreitet. Und dass es Frauen sind, ist mit Lanzerinnen auch klar. Was man uns mit der Textstelle eigentlich sagen wollte, war das folgende: “Die Ferdoker Garde, die weithin berühmten Ferdoker Lanzerinnen, gilt als eines der besten Kavallerieregimenter Aventuriens.” In diesem Satz konnte ich sogar noch die (nicht unwesentlichen) Infos unterbringen, dass die offizielle Bezeichnung “Ferdoker Garde” lautet; sie auf Pferden unterwegs sind und obendrein das nichtssagende Wort “Einheit” vermeiden, das zudem offenlässt, ob es 5, 50 oder 500 Kriegerinnen sind. (Ein aventurisches Regiment zählt 500.) Die Schluderei kennt auch abseits der Texte keine Grenzen: Auf dem Cover der Rüstkammer der Flusslande werden angeblich zwei Lanzerinnen dargestellt. Ausrüstung und heraldische Farben passen aber nicht und obendrein tragen die Reiterinnen auf dem Bild nicht einmal Lanzen, sondern Speere. Als in den sozialen Medien darauf hingewiesen wurde, hat man in der RSH einfach die Beschreibung geändert, damit sie auf das Coverbild passt: In Diensten der Kaiserin tragen sie blau-rot, in Diensten des Fürstentums grün-schwarz. (Vgl. S. 66) Und je nach Schwadron tragen sie jetzt unterschiedliche Lanzentypen. Die schwere Kriegslanze und manchmal eine “speziell für diese Einheit entwickelte leichte Lanze”. (S. 132). Ja, nee, klar. Anstatt zuzugeben, dass das (wohl bereits bezahlte Bild) Bild nichts mit der Ferdoker Garde zu tun hat, wird das Bild einfach zum Kanon umgeschrieben, als wäre es immer schon so gewesen. Haarsträubend!
Die Flusslande offenbaren hierbei ein symptomatisches Gesamtbild: Auf den ersten Blick ganz gut, aber bei genauerer Betrachtung wurde geschlampt, geschludert und geflickschustert. Lieblos im formalen Rahmen und rücksichtslos in Bezug auf frühere inhaltliche Setzungen. Ich möchte mich in eine Spielwelt hineinfühlen und in ihr versinken. Diesem Anspruch werden Die Flusslande leider nicht gerecht.
Sirius: Auch wenn ich von Ulisses dafür keinen Cent bekomme, muss ich an dieser Stelle etwas zur Ehrenrettung der Spielhilfe sagen. Zunächst: Ja, mehrere Textstellen erinnern vage an Schulbücher. Aber: Es gibt natürlich auch viele Seiten, die für Atmosphäre am Spieltisch sorgen werden. Die lokalen Schauergestalten der Flusslande laden etwa zu gruseligen Szenen oder Lagerfeuergeschichten ein. Der Schwarzmagier Al’Gorton interessiert mich genau so wie Baldur Greifax, der mittlerweile als wahnsinniger Eremit durch die Berge zieht. Mit solchen „Sagengestalten“ kann man Retro-Momente ins heutige Aventurien einbauen und somit mit Sicherheit für viel Spielspaß sorgen.
Außerdem gibt es durchaus einige recht spektakuläre Einfälle, wie zum Beispiel die Wühlschrat-Zwergkrakenmolch-Chimäre. Diese Bestie mit RS 6 und vier Attacken pro Kampfrunde könnte so manch eine Heldengruppe ins Schwitzen bringen. Und mit passende Sonderfertigkeiten wie Tentakelschwung und Klammergriff (Fangarm) hat die Chimäre durchaus das Zeug zum epischen Endgegner…
7. Fazit
Felixilius: Dem aufmerksamen Leser mag auffallen, dass ich in diesem Disput relativ wenig gesagt habe und mich größtenteils aufgeregt habe. Das liegt ganz einfach daran, dass ich meinen Diskussionspartnern in fast jedem Punkt zustimmen kann. Abgesehen von den genannten Kritikpunkten halte ich die Regionalspielhilfe für einen kompetent und gut gemachten Band, der die Stimmung der Flusslande sehr schön vermittelt. Es gibt gute Plot-Hooks und ich glaube mich nach der Lektüre des Bandes in dieser Region auszukennen und habe durchaus Interesse daran dort zu spielen. Dennoch hat mich das “Mysteria & Arcana” so maßlos enttäuscht, dass ich meine ursprüngliche Vorstellung von acht zufriedenen Einhörnern leider auf eine Bewertung mit 6 von 9 Einhörnern herabstufen muss.
Thorus: Ich habe ein kleines, ein mittleres und ein größeres Problem mit dieser grundsätzlich überzeugenden Spielhilfe. Das kleinere heißt Havena. Vorher ist es mir nicht schwergefallen, den DSA5-Regionalspielhilfen Bestnoten auszustellen. Mit der sagenhaft guten Publikation rund um die Hafenstadt am Meer der Sieben Winde hat sich aber die Perspektive verschoben. Man könnte auch positiv sagen: Die Messlatte liegt nun höher. Denn obwohl die Flusslande formal wenig Wünsche offen lassen, muss das kritische Auge des Rezensenten fragen: Hat diese Spielhilfe genauso viele Punkte wie Havena verdient? Ehrliche Antwort: Nein. Deshalb bleibt ein Rieshorn weiterhin in der berühmten Hafenstadt… Ein weiteres Manko, das mich bereits vor dem Lesen dieser Spielhilfe befiel: Ich kann kein Mittelalter-Fachwerk-Setting mehr sehen. Ganz ehrlich, ich bin mehr als gesättigt. Mit Nostergast, der Siebenwindküste, Havena und den Flusslanden bereisen wir nun seit 3 Jahren ausschließlich den aventurischen Westen. Es wird Zeit, die Komfortzone der Mittellande zu verlassen und ihr für eine Weile den Rücken zu kehren. Gerne mit Ausflügen in den tiefen Süden (Al’Anfa!), den Norden (Thorwal! Riva!) oder zur Ostküste (Tulamidenlande!). Das achte Rieshorn gähnt und geht schon einmal vor.
Mein größtes Problem ist aber die fehlende Atmosphäre, die durch die lieblosen Texte entsteht. Das qualitative Absinken im Vergleich zu den Vorgängerpublikationen ist deutlich spürbar und auch nachweisbar, selbst wenn man das alles überstrahlende Havena aus der Rechnung streicht. Die Flusslande wirken steril und lieblos runtergeschrieben. Auch die besseren Flufftexte und die wie immer hervorragenden Illustrationen können darüber nicht hinwegtäuschen. Ein weiteres Rieshorn verlässt daher die Flusslande und zieht beleidigt weiter. Trotzdem halten sich immerhin 6 von 9 Rieshörnern grundsätzlich gerne in der beschaulichen Region auf. Für DSA- und Zwergenfans ist die Spielhilfe Pflicht. Für etwaige Neulinge ins Hobby Aventurien eher nicht. Die greifen weiterhin zum gegenwärtig stimmungsvollsten DSA-Setting: Havena.
Sirius: Da ich mich seit vielen Jahren für die Zwerge Aventuriens begeistern kann, kommt die Spielhilfe bei mir besser weg als bei meinen Kollegen. Hinzu kommt, dass z. B. die stimmungsvollen “Archetypen” in Verbindung mit den Hintergrundgeschichten zu Charakteren aus den Flusslanden manch eine kleine Schwäche wettmachen. So galoppieren in meinem Auftrag 7 von 9 Einhörnern durch den Kosch. Abschließend versuche ich die genannten Kritikpunkte konstruktiv zu formulieren: Für kommende Spielhilfen wünschen wir uns zwar die bekannte gute Handwerksqualität, aber auch den Mut, der Community mehr Neues, Anderes, Faszinierendes zu bieten.
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- Orkenspalter TV (Video)
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- DSAForum (Bewertet hier für www.rollenspiel-bewertungen.de)
Danke für die Rezension. Hat Spaß gemacht eure Meinung zu lesen!
Ich hatte bei der Spielhilfe gehofft, mehr über die Elfte Schwadron, Alrik Dagobar und den Koscher Borbardianismus zu erfahren. Mich stört also im Prinzip das, was Felixius unter 5. kritisiert hat am meisten (v.a. was Isnatosch anbelangt). Die von Thorus aufgeführten nichtssagenden Redundanzen haben da vielleicht die Zeichen für die spannenden Details gefressen. Mir bleibt die Spielhilfe einfach zu oberflächlich an den Stellen, die ich am interessantesten finde.
Insgesamt hat die Spielhilfe bei mir zwar auch einen positiven Eindruck hinterlassen, jedoch hoffe ich, dass man sich eure Kritik bei kommenden RSHs zu Herzen nimmt.
Obwohl ich mit der Lektüre nicht ganz durch bin, möchte ich zumindest noch etwas zu Charissia von Salmingen anmerken. Die Geheimakte, die ich mit Raul zusammen verfasst habe und die Derya netterweise mit einem Layout versehen hat, stellt einen Bezug zu den vergangenen Geschehnissen auf Koschgau her. Bei der Recherche durch alle Publikationen seit „Seelen der Magier“ fiel mir auf, dass die Biografie Charissias und die Rolle ihrer Familie mehrfach umgedeutet oder teilweise Abschnitte verschwiegen wurden. Eine Verbindung von Charissia zu Azaril Scharlachkraut wird mit einem durchaus geheimnisvollen Zitat (S.107) belegt, aber meines Wissens nach nicht weiter ausgeführt und auch sonst keine Verbindungen der Zirkel zueinander. Klar, da hätte man noch mehr für die Spielleitung vorgeben können. Bei Charissia fehlt in den Flusslanden wohl die Info aus einem der Botenartikel (AvB 174 S.3), der vermuten lässt, dass sie die Karriere ihres Sohns „unterstützt“ bzw. plant. Generell sehe ich sie nicht so sehr als Oberbösewicht, sondern eher auf einer mittleren Ebene und damit auch im Ernstfall entbehrlich und sie ist ja auch als „Springer“ markiert. Z.B. könnte sie in einem Plot mit Azaril, die die eigentliche Strippenzieherin im Hintergrund ist, eine „operative“ Rolle – greift selbst ein und hat noch ein paar Schergen zu Hand wie im AB „Tag der Jagd“ aus „Stromschnellen“ – spielen und dann auch von einer Heldengruppe gestellt werden. Auch die Episode mit dem Alagrimm war nicht ihre Idee, sondern wurde ihr von Rhazzazor eingeflüstert. Ich sehe sie als gefährlich, aber eben nicht als das „Mastermind“.
Leider ist die Geheimakte nicht mehr auf dsanews.de / pnpnews.de verfügbar. Werdet ihr sie erneut uploaden?
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