Mit dem vierten Band der Bibliographie des Schwarzen Auges erscheint der vorerst letzte Band dieses umfangreichen Werkes. Hier werden die Jahre 2014 bis 2023 abgedeckt und damit steht der Band ganz im Zeichen der fünften Edition des Schwarzen Auges. Der Umfang des Bandes ist dabei noch einmal deutlich größer als der seiner Vorgänger. Mit 386 Seiten ist der Band wiederum umfangreicher als der ebenfalls üppige 336 Seiten starke dritte Band. Auch wenn die vorherigen Bänder grob den Editionen 1/2, 3 und 4 zugeordnet werden konnten ist für die fünfte Edition noch kein Ende in Sicht. Sollte dann irgendwann einmal der fünfte Teil der Bibliographie erscheinen wird wohl ein Großteil davon auch im Zeichen der fünften Edition stehen.
Übersicht
Der Aufbau des Bandes folgt hier wieder dem nun schon bewährten Muster die Kernprodukte zuerst vorzustellen und danach dann auf die verschiedenen mehr oder weniger exotischen Lizenzprodukte einzugehen.
DSA4.1 macht den Anfang. Hier finden wir die letzten Spielhilfen und Abenteuer der auslaufenden vierten Edition. Kleine Einschübe zeigen uns Bilder von Helme Haffax, Leomar vom Berg und Caryad (im letzten Fall Bilder ihrer Werke).
DSA5 listet dann alle direkten Produkte der aktuellen Edition getrennt nach Regelwerken, Spielhilfen und Abenteuern. Auch hier werden wir wieder mit verschiedenen Bildern von bekannten Persönlichkeiten und Wesenheiten im Wandel der Zeit beglückt. Auch die Kampagnen der fünften Edition bekommen kleine Essays.
Crowdfudings führt uns in ein neues Instrument der Marktforschung und des Marketings ein, während der darauf folgende Abschnitt DSA Retro die Folgen eines dieser Crowdfundings in aller Ausführlichkeit beleuchtet. In den Sonderreihen werden nicht nur regelunabhängige Quellenbücher (hui), sondern auch die Produkte zu anderen Kontinenten und Katzen behandelt.
Nachdem Der Aventurische Bote erneut gestreift wurde, finden wir Fern der Seiten andere Medien, wie Internet (Regelwiki und Scriptorium), Computerspiele und Audioprodukte. Geschichten aller Art sammelt dann die Romane und andere Erzählungen, darunter auch die Phileasson-Saga bei Heyne. Unter Gesellschaftsspiele aller Art glänzt vor allem das gelungene Kartenspiel Aventuria. Während der Abschluss dann von Zubehör & Merchandise gemacht wird, zu dem auch der Kaiser-Raul-Konvent gehört.
Der Lauf der Geschichte
Dieses Jahrzehnt kennzeichnet in meiner persönlichen Biographie eine Zeit, in der ich wieder stärker in das Spielen an sich involviert war und DSA-Produkte wieder mit einem mehr praktischen Blick gekauft und verwendet habe. Natürlich ist man bei einer solch opulenten Bibliographie auch immer auf der Suche nach den kleinen Schmankerln, die an die eigene Geschichte andocken. Meine Eindrücke sind also sehr persönlicher Natur und folgen ganz und gar diesem Fokus.
Stolpersteine
Als Erstes stolpere ich über Aventurische Namen. Meine eigene Rezension dazu auf Nandurion war seinerzeit etwas ambivalent, da der Nutzwert zwar unbestreitbar, die phantastische Inspiration jedoch mäßig war. Hier erfahre ich, dass der Band als der meistgenutzte Band in Redaktions- und Autorenkreisen zu gelten hat. Irgendwie versöhnt mich das ja mit dem Produkt, obwohl ich es damals als schmerzlich unvollständig empfunden hatte.
Auch wenn ich dem Transmutarium bislang nur wenig abgewinnen konnte, lese ich hier, dass Ulisses seinerzeit während der Covid-19 Pandemie zahlreiche Künstler, aufgrund eines allgemeinen Auftragseinbruchs, mit Aufträgen für Illustrationen künftiger Produkte versorgte. Auch wenn dies vielleicht nur eine kleine Geste ist, zeigt es meines Erachtens doch, wie man auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten respektvoll und zugewandt mit seinen Partnern umgehen kann.
Einen weiteren besonderen Einblick gewährt uns Nikolai Hoch in seinem Text über Die neuen Regionalspielhilfen. In der Vorbereitung der fünften Edition führte Ulisses statistische Analysen der Verkaufszahlen durch, die eine Tatsache klar belegten.
Das Ergebnis war eindeutig: Bücher, die Regeln beinhalten,
waren bei der Kundschaft deutlich beliebter als solche, die
keine Regeln enthielten. Dazu war es nicht notwendig, dass
es sich um ein dediziertes Regelbuch handelt, es reichte aus,
wenn eine Handvoll Regeln in einem Buch enthalten waren.
Was ich in meinem persönlichen Kopfkanon bislang immer nur als bitteren Scherz geführt hatte, war also die reine Wahrheit. Mit Regeln verkauft sich alles besser. Selbst wenn ein Buch kein Regelwerk war, sondern nur eine Handvoll neuer Sonderfertigkeiten enthielt, würden die Power-Gamer den Absatz derart ankurbeln, dass dies den wirtschaftlichen Erfolg beförderte. Umso mutiger war die spätere Entscheidung des Verlages, in den Regionalprodukten die Hintergrundbeschreibungen von den Regelteilen zu trennen. Ein Vorgehen, das weiterhin meine Hochachtung findet und hoffentlich auch weiterhin erfolgreich angewendet werden kann.
Nachdem ich kürzlich das Abenteuer Ketten für die Ewigkeit gespielt hatte, amüsierte es mich besonders, den Kommentar zu dem etwas eigenwilligen Cover zu lesen. Das Bild war für mich immer sehr generisch und nichtssagend gewesen und ganz sicher kein gutes Verkaufsargument für das Abenteuer. Tatsächlich war das Bild ursprünglich als Cover der Regionalspielhilfe geplant gewesen, bis man feststellte, das darauf gar kein Fluss zu sehen war. Holzauge sei wachsam!
Während viele Zusatztexte zu den Kampagnen eher nichtssagend sind, stelle ich fest, dass die bisherige Praxis Rezensionen zu den Produkten zu zitieren, kaum noch Anwendung findet. Vielleicht ist dies dem knappen Platz geschuldet, denn viele Seiten sind schon recht voll. Dennoch vermisse ich den nimmermüden Engor, der nur einmal mit seiner Rezension zu Friedlos zitiert wird. Die verbleibenden Kommentare beziehen sich ausgerechnet auf Randprodukte. So drücken Josch (Nandurion) und Fabiano Uslenghi (GameStar) ihr deutliches Missfallen über Computerspielumsetzungen aus, während ich meine eigenen Worte zum Buch der Klingen lese.
No rule for all
Weniger verbunden fühle ich mich dagegen mit der Idee der Kaiser-Retro-Edition, die Markus Plötz in seinem Text beschreibt. Hier erfahren wir auch, dass es Michael Mingers Idee war, die erste Edition neu aufzulegen. Diese Idee in einem Crowdfunding zu testen, erscheint mir dagegen ausgesprochen sinnvoll. Direkt daran anknüpfend beschreibt Thomas Michalski Das Ende des ewigen Editionskriegs. Das bisherige Paradigma, nach dem eine neue Edition die alte verdrängt, aufzubrechen klingt im ersten Moment nach einer fast schon märchenhaft genialen Idee. Alle Regeln für alle zu jeder Zeit huldigt beinahe schon den kommunistischen Idealen des Rollenspiels, die Lars-Hendrik Schilling immer wieder postuliert.
Michalski verweist auf die kreativen und wirtschaftlichen Motive, die grundsätzlich Treiber einer neuen Edition sind. Wer jemals seine kleinen Soldaten über die Schlachtfelder des 41. Jahrtausends geführt hat, der weiß wie mühsam solch eine Politik für den Kunden sein kann. Ulisses löst gewiss einen Teil der Probleme, indem es mit den Neuauflagen neue Käufe ermöglicht und mit der Überarbeitung alter Abenteuer der Hal-Zeit auch neue Interpretationen alter Stoffe anbietet. Die Vielfalt der Editionen zahlt auch direkt ein auf die Attraktivität der neuen Regionalspielhilfen ohne Regeln. Sicherlich ein Gewinn für alle.
Aus meiner Perspektive bleiben jedoch in beiden Dimensionen Probleme bestehen, die freilich eher aus der Kundensicht entstehen und die auch eher mittelfristig greifen. Die kreative Dimension besteht meines Erachtens in der Verbesserung eines Produkts. So wie ich heute die meisten DSA1 Abenteuer für absolut nicht mehr zeitgemäß halte, sind es in meinen Augen auch die Regeln. Anstatt wirklich gute Regeln zu entwickeln, verstecken wir uns nun hinter einem Wust von Alternativen. Die Regeln sind schlecht? Dann spiele halt eine andere Edition, anderes Regelwerk etc. Fairerweise muss ich zugeben, dass DSA5 hier in meinen Augen bereits klar versagt hat. Statt einer geschmeidigen Alternative zu DSA4 macht man mehr oder weniger die gleichen Fehler und bläst alles bis zur Lachhaftigkeit auf. Man lehnt sich mehr und mehr an D&D an und jedes Mal, wenn jemand am Tisch versucht einen Zauberer zu spielen, dann wünsche ich mir insgeheim wieder DSA4 zurück. Anstatt zwei Regeleditionen gezielt für spezifische Zielgruppen zu designen, wie es teilweise anderswo gemacht wird, binden wir alte Zöpfe wieder an. Wie das der Qualität dienen soll, ist mir ein Rätsel. Wenn man Spielregeln dagegen als zeitlose Kunst und nicht als Handwerk betrachtet, dann ist dieser Punkt natürlich hinfällig.
Der zweite Aspekt ist wirtschaftlicher Natur, wenn auch der ROI etwas auf sich warten lässt. Ungeachtet allen Hypes erlebe ich es sehr wohl, dass es nicht so banal ist neue Spieler zu finden und dauerhaft eine Spielrunde aufzubauen. Eine weitere Zersplitterung nach dem Motto Nein, ich möchte nur DSAx.y spielen, hilft in einem Nischenhobby ganz sicher nicht. Man stelle sich ein Tabletop-Turnier vor, bei dem die Teilnehmer sich zusätzlich noch nach gewünschter Edition separieren müssten. Die Segregation in verschiedene Editionsgruppen halte ich demnach für ein weiteres Hindernis zum gemeinsamen Spielen, nicht für eine inklusive Lösung.
DSA5 geht neue Wege
Ein überaus gelungenes Konzept für den Einstieg ins Rollenspiel sind die Einsteigerboxen, in manchen Systemen auch einfach nur als Schnellstarter im schmalen PDF umgesetzt. Alex Spohr berichtet von der Entstehung der Einsteigerbox, die in meinen Augen immer noch eines der großartigsten Produkte ist, die je für das Schwarze Auge erschienen sind. Ich stelle mir immer nur die Frage, wieso es so lange gedauert hat, bis wir ein entsprechendes Produkt für DSA zu sehen bekamen.
Ein weiterer großer Schritt in der fünften Edition des Schwarzen Auges war das Design. DSA erschien erstmals als durchgängig vollfarbiges Produkt. Darüber hinaus wurde jedoch nicht nur Farbe über die bisherigen Zeichnungen gekippt, sondern auch der Stil der Zeichnungen angepackt. Artdirector Nadine Schäkel berichtet in einem eigenen Artikel über die Reise zum Erscheinungsbild der fünften Edition. Interessant fand ich die Aussage, dass man sich für einen Semi-Realismus entschied, da eine zu strikte Orientierung an der Realität schnell optisch eintönig wirken kann. Vermutlich werden die künstlerisch tiefer bewanderten Leser diese Aussage besser würdigen können als ich.
Interessanterweise ist es auch wieder Nadine Schäkel, die den ergänzenden Text zum eigenständigen Spielsystem Die Schwarze Katze schreibt. Das Rollenspiel mit erwachten Katzen (und anderen Haustieren) in der Welt des Schwarzen Auges von Jens Ullrich erfreut sich wohl weiterhin einer gewissen Beliebtheit und spricht auch Leute außerhalb der üblichen Rollenspielkreise an. Wer sich fragt, wie man auf solch eine Idee kommt, der wird auch hier nicht enttäuscht. Es begann, wie so oft, mit einem Witz. Auch wenn ich seit der Enthüllung des Autors, sicher werden viele Leute ihre Haustiere spielen wollen, etwas vorsichtig geworden bin, stehe ich den erwachten Katzen als Idee aufgeschlossener gegenüber, als der Transport eines anderen Aprilscherzes in die Welt des Schwarzen Auges. Schäkel schreibt im Übrigen deswegen den dazugehörigen Artikel, weil der künstlerische Stil das verbindende Element zwischen Schwarzer Katze und Schwarzem Auge ist, wie man am Cover des Regelwerks unschwer erkennen kann.
Mehr für die Haptik
Im hinteren Teil finden wir verschiedene Dinge, die sozusagen etwas abseits des Rollenspiel-Hauptwerks stehen. Neben den Kuriositäten und Wunderdingen, wie zum Beispiel der außerordentlich wertigen Deluxe-Ausgabe der Phileasson-Saga finden wir auch eine ausführliche Würdigung des Kartenspiels Aventuria. Auch wenn ich mich für derlei bislang noch nicht erwärmen konnte, machen die zugehörigen Texte von Grimme, Plötz und Lonsing definitiv Lust auf mehr. Für mich ist natürlich auch der Abschied vom Miniaturenspiel Schicksalspfade einen Blick wert. Etwas irritiert bin ich ob der Photos der ikonischen Helden, von denen nur das von Rowena einen professionellen Eindruck macht. Vielleicht muss ich doch mal meinen Carolan anmalen und Arbosch vor die Linse zerren. Im Zeitalter des 3D-Drucks werden auch Miniaturen zur flexiblen Massenware, was einerseits großartig ist, andererseits aber auch hier in einer etwas lieblosen Präsentation resultiert.
Während ich mich einmal quer durch das Merchandise scrolle, die diversen Schicksalspunkte bewundere und die Aventurienkarte an meiner Kellerwand wiedererkenne, frage ich mich einmal mehr, ob Repetition nicht doch auch der Tod der Kreativität ist. Noch während ich an diesem Artikel schreibe suche ich nach eine Lösung, um die diversen Zustände und anderen Merkpunkte an meinem Spieltisch durch geeignete Marker darzustellen. Trotz dutzender Schicksalspunkte, unzähliger Kartensets und vielfältiger Acrylmarker fische ich jedes Mal wieder in meinen Chips, wenn ich Markierungen für Dunkelheit suche, Zustände verteile oder gar nachhalten will, wie viele Dienste das Elementarwesen noch bereit ist zu erbringen. Aber mit den Möglichkeiten von KI und 3D-Druck werden wir uns vielleicht auch bald von diesen Dingen emanzipieren.
Fazit
Der opulente Ausstoß von Produkten für Das Schwarze Auge erreicht im vierten Jahrzehnt seines Bestehens neue Höhen. Dies macht sich in der äußerst umfangreichen Bibliographie bemerkbar, die mit bald 400 Seiten ein ganz schönes Brett ist. Entsprechend kurz muss sich Felix Pietsch auch in seinem Nachwort halten. Passend zum Umfang findet sich auch viel Gelegenheit für kleine Ausflüge, Essays und Bildmaterial zu Figuren und anderem. Damit bleibt der vierte Teil der Bibliographie sich treu. Etwas vermisse ich die zeitgenössische Würdigung aus den Rezensionen, wie sie noch zuvor oftmals zu lesen war. Aber das hätte den Setzer vermutlich wieder vor weitere Probleme gestellt. Dennoch bin ich mit dem Band sehr zufrieden. Dem äußerst umfangreichen Material wurde mit viel Einsatz und Herzblut Rechnung getragen. Und während ich dies hier schreibe, ist meine Anzeige auf dem anderen Schirm auf die Produktpräsentationen der vorletzten Seite der Bibliographie zurückgesprungen und ich stelle fest, dass in der Redaktion wirklich mit vollem Einsatz gearbeitet wird, um die bestmögliche Inszenierung ihrer Werke zustande zu bringen.
In diesem Sinne. Mögen euch die Würfel gewogen sein und das nächste Jahrzehnt des Schwarzen Auges uns allen viel Freunde und kostbare Erinnerungen bringen.